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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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die Welt mit einer gewissen Unwissenheit, die Anfangs anzieht, zuletzt aber eintönig wird. Vor allen ist Garve Derjenige gewesen, der das meiste Gewicht darauf gelegt hat, von der guten Gesellschaft, von der Mode, von der Artigkeit u.s.w. gut zu reden. In seiner Manier, sich über diese Gegenstände auszudrücken, entdeckt man eine große Neigung, sich als Weltmensch zu zeigen, von allen Dingen die Gründe anzugeben, gewitzigt zu seyn, wie ein Franzose, und über Hof und Stadt mit Wohlwollen zu urtheilen: aber die gemeinen Ideen, welche er über diese Gegenstände in seinen Schriften auskramt, beweisen, daß er Alles nur vom Hörensagen kennt, und nie beobachtet hat, was die Verhältnisse der Gesellschaft von feinen und zarten Ansichten darbieten können.
    Spricht Garve dagegen von der Tugend, so zeigt er reine Einsichten und einen heiteren Verstand; besonders anziehend und original ist er in seiner Abhandlung über die Geduld. Von einer grausamen Krankheit niedergedrückt, verstand er sie mit einem bewundernswürdigen Muthe zu ertragen, und alles, was man selbst gefühlt hat, giebt neue Gedanken ein.
    Mendelssohn, ein geborner Jude, hatte sich, im Schooße des Handels, dem Studium der schönen Wissenschaften und der Philosophie gewidmet, ohne im mindesten den Glauben oder den Gebräuchen seiner Religion zu entsagen. Als ein aufrichtiger Bewunderer des Phädon, den er übersetzt hatte, war er bei den Ideen und Gefühlen stehen geblieben, welche vor Jesus Christus vorhergiengen; und da er aus den Psalmen und der Bibel schöpfte: so tragen seine Schriften den Charakter hebräischer Einfalt. Er fand Vergnügen daran, die Moral durch Fabeln in orientalischer Manier fühlbar zu machen; und diese Form gefällt unstreitig am meisten, weil sie den Ton der Zurechtweisung aus den Vorschriften entfernt.
    Von diesen Apologen will ich einen übersetzen, der mir merkwürdig scheint. „Unter der tyrannischen Regierung der Griechen wurde einmal den Israeliten bei Todesstrafe verboten, die göttlichen Gesetze unter sich zu lesen. Trotz dieses Verbots hielt Rabbi Akiba Versammlungen, wo er dies Gesetz verlas. Pappus erfuhr es, und sagte zu ihm: Akiba, fürchtest du nicht die Drohungen dieser Grausamen? — Ich will dir eine Fabel erzählen, antwortete der Rabbi. — Ein Fuchs ging am Ufer eines Flusses spazieren, und sah wie die Fische sich voll Schrecken auf dem Grunde des Gewässers versammelten. — Woher der Schrecken, der euch beunruhigt? fragte der Fuchs. — Die Menschenkinder, antworteten die Fische, werfen ihre Netze in die Fluthen, um uns zu fangen, und wir suchen ihnen zu entkommen. — Wißt ihr, was ihr thun müßt? sagte der Fuchs. Kommt auf jenen Felsen dort, wo euch die Menschen nichts anhaben können. — Ist es möglich, riefen die Fische, daß du der Fuchs seyest, der für das klügste unter den Thieren gilt? Du würdest von allen das unwissendste seyn, wenn du uns diesen Rath im Ernste gäbest. Die Welle ist unser Lebenselement; und dürfen wir es aufgeben, weil Gefahren uns bedrohen? — Pappus, die Anwendung dieser Fabel ist leicht. Die religiöse Lehre ist für uns die Quelle alles Wohlseyns; durch sie, und durch sie allein existiren wir; und wenn man uns in ihrem Schooß verfolgen sollte: so wollen wir uns nicht der Gefahr entziehen, indem wir uns in die Arme des Todes flüchten."
    Die meisten Weltmenschen geben keinen besseren Rath, als der Fuchs; wenn sie gefühlvolle Seelen von den Qualen des Herzens gefoltert sehen: so schlagen sie ihnen immer vor, aus der Luft, wo der Sturm herrscht, in die Leere zu treten, welche tödtet.
    Wie Mendelssohn, lehrt Engel die Moral auf eine dramatische Weise. Seine Dichtungen bedeuten wenig; aber ihr Verhältniß zum Gemüth ist innig. In einer derselben stellt er einen Greis dar, der durch die Undankbarkeit seines Sohnes närrisch geworden ist; und das Lächeln dieses Greises, während man sein Unglück erzählt, ist mit einer herzzerreissenden Wahrheit geschildert. Der Mensch, der nicht mehr das Bewußtseyn seiner selbst hat, erschreckt wie ein lebloser Körper, der sich bewegt. „Ein Baum, sagt Engel, dessen Zweige vertrocknet sind; seine Wurzeln kleben noch an der Erde, aber sein Wipfel ist schon vom Tode getroffen." Ein junger Mensch fragt beim Anblick dieses Unglücklichen seinen Vater, ob es hienieden eine noch schrecklichere Bestimmung gebe, als die, dieses armen Narren? Alle Leiden, welche tödten, alle, von welchen unsere Vernunft Zeuge ist, scheinen ihm nichts

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