Ueber Deutschland
bis zum Tode vorhalten und im Himmel sich erneuern soll. Einsam mit sich selbst, einsam mitten unter allen Arten von Verführungen, bleibt er rein, wie ein Engel. Denn wenn die Engel nicht mit weiblichen Zügen dargestellt werden: so geschieht dies, weil die Vereinigung der Stärke mit der Reinheit noch schöner, noch himmlischer ist, als selbst die allervollkommste Bescheidenheit in einem schwachen Wesen.
Hat die Einbildungskraft nicht die Erinnerung zum Zügel: so trennt sie von dem, was man besitzt, so verschönert sie, was man nicht zu erhalten fürchtet, so macht sie aus dem Gefühl eine überwundene Schwierigkeit. Allein, wie in den Künsten die überwundene Schwierigkeit nicht wahres Genie erfordert: so bedarf es für das Gefühl der Sicherheit, um die Zuneigungen zu empfinden, welche Unterpfänder der Ewigkeit sind, weil sie allein uns die Idee von dem zuführen, was nicht endigen kann.
Der treue junge Mann scheint Derjenigen, die er liebt, täglich von neuem den Vorzug zu geben. Die Natur hat ihm eine gränzenlose Unabhängigkeit geschenkt, und weit, weit im Hintergrunde stehen für ihn die bösen Tage des Lebens. Sein Roß kann ihn tragen bis ans Ende der Welt; der Krieg, dessen er voll ist, befreiet ihn wenigstens augenblicklich von allen häuslichen Beziehungen, und scheint das ganze Interesse des Daseyns auf Sieg oder Tod zu beschränken. Ihm gehört die Erde, alle Freuden werden ihm entgegen gebracht, keine Beschwerde schreckt ihn, keine innige Verbindung ist ihm nothwendig; er drückt die Hand eines Waffengefährten, und der nöthige Bund ist geschlossen. Unstreitig steht sie bevor, die Zeit, wo die Bestimmung ihm ihre schrecklichen Geheimnisse enthüllen wird; aber er braucht sich jetzt noch nicht darauf einzulassen. So oft eine neue Generation in den Besitz ihrer Domäne tritt — glaubt sie nicht, daß alles Unglück nur aus der Schwäche ihrer Vorgänger hergestammt hat? überredet sie sich nicht, sie seyen so zitternd und kraftlos geboren worden, wie sie sie jetzt sieht? Nun gut! Wie tugendhaft, wie gefühlvoll ist Derjenige, der im Schooße so vieler Täuschungen sich der dauerhaften Liebe weihen will, ihr, die dies Leben mit dem andern verbindet! Ha, wie schön ist ein stolzer, männlicher Blick, wenn er zu gleicher Zeit bescheiden und rein ist! Man glaubt darin einen Strahl von jener Schaam zu entdecken, der sich von der Glorie heiliger Jungfrauen lösen kann, um selbst die Stirn eines Kriegers zu schmücken.
Wenn der junge Mann die glänzenden Tage seiner Jugend mit einem einzigen Gegenstande theilen will: so wird er unstreitig unter seinen Zeitgenossen Spötter finden, die über ihn das große Wort: Betrogenheit, dies Schrecken der Kinder des Jahrhunderts, aussprechen werden. Aber ist denn der betrogen, der allein wahrhaft geliebt wird? denn die Beklemmungen und Genüsse der Eigenliebe bilden das ganze Gewebe leichtfertiger und lügenhafter Zuneigungen. Ist der betrogen, der seine Freude nicht darin findet, zu betrügen, um hinterher noch mehr betrogen, noch mehr zerrissen zu seyn, als selbst sein Schlachtopfer? Ist endlich der betrogen, der das Glück seines Lebens nie in den jämmerlichen Combinationen der Eitelkeit, wohl aber in den ewigen Schönheiten der Natur gesucht hat, welche ohne Ausnahme Beständigkeit, Ausdauer, Tiefe predigen?
Nein, Gott hat den Mann, als die edelste der Kreaturen, zuerst geschaffen; die edelste Kreatur aber ist die, welche die meisten Pflichten übt, und es ist ein seltsamer Mißbrauch, den man von dem Vorrecht einer natürlichen Ueberlegenheit macht, wenn man es benutzt, um sich von den heiligsten Banden zu befreien, während die wahre Ueberlegenheit in der Stärke des Gemüths besteht. Die Stärke des Gemüths aber ist die Tugend.
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Zwanzigstes Capitel. Von den Moralisten der alten Schule in Deutschland.
Ehe die neue Schule in Deutschland zwei Neigungen geweckt hatte,welche sich auszuschließen scheinen, ich meine die Metaphysik und die Poesie, die wissenschaftliche Methode und den Enthusiasmus, gab es daselbst Schriftsteller, welche einen ehrenvollen Platz neben den englischen Moralisten verdienten. Mendelssohn , Garve , Sulzer , Engel u.s.w. haben über die Gefühle und die Pflichten mit Empfindsamkeit, Religion und Herzenseinheit geschrieben. In ihren Werken findet man nicht die scharfsinnige Kenntniß der Welt, welche französische Autoren, wie Larochefoucault, la Bruyere u.s.w. charakterisirt. Die deutschen Moralisten malen
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