Ueber Deutschland
allgemeine Idee, die sich auf alle besonderen Beispiele anwenden ließe.
Nur die Sprache der Religion paßt für alle Lagen des Lebens und für alle Empfindungsarten. Bei der Lectüre von J. J. Rousseau's Träumereien, diesem beredten Gemälde eines Wesens, das mit einer starken Einbildungskraft im Kampfe liegt, habe ich mich gefragt, wie ein Mann von einem, durch den Umgang mit der Welt gebildeten Geiste, und ein religiöser Einsiedler Rousseau'n zu trösten gesucht haben würden.
Er würde sich darüber beklagt haben, daß man ihn hasse und verfolge; er würde sich den Gegenstand des allgemeinen Neides und das Opfer einer Verschwörung genannt haben, die sich vom Volke bis zu den Königen erstrecke; er würde behauptet haben, daß alle seine Freunde ihn verrathen hätten, und daß selbst die Dienste, die man ihm leiste, Fallstricke wären. Was nun würde der Mann von einem durch die Welt gebildeten Geiste aus diese Klagen geantwortet haben?
“Sie übertreiben sich“, würde er gesagt haben, “die Wirkung, die Sie hervorzubringen glauben, auf eine auffallende Weise. Unstreitig sind Sie ein sehr ausgezeichneter Mann; aber da jeder von uns doch auch seine eigenen Angelegenheiten und selbst seine eigenen Ideen hat, so füllt ein Buch nicht alle Köpfe aus. Die Ereignisse des Krieges oder des Friedens, und selbst minder wichtige Dinge, wenn sie uns nur persönlich angehen, beschäftigen uns weit mehr, als ein Schriftsteller, wie berühmt er auch seyn möge. Man hat sie verbannt; aber einem Philosophen, wie Sie, müssen alle Länder gleich seyn. Und wozu dienen denn die Moral und die Religion, die Sie in Ihren Schriften so vortrefflich entwickelt haben, wenn Sie die Unfälle, die Sie getroffen, nicht zu ertragen verstehn? Unstreitig werden Sie von Einigen unter ihren Mitschriftstellern beneidet; aber dies kann sich nicht auf diejenigen Classen der Gesellschaft erstrecken, die sich sehr wenig um die Buchstabenwelt bekümmern. Und wenn Ihnen denn Ihre Berühmtheit so lästig ist, so ist kaum noch etwas leichter, als ihr zu entrinnen: schreiben Sie nicht mehr, und nach wenigen Jahren sind Sie vergessen, und können so ruhig seyn, als ob niemals etwas von Ihnen ausgegangen wäre. Sie sagen: Ihre Feinde legten Ihnen Fallstricke, indem sie die Mienen annahmen, als wollten sie Ihnen nützlich werden. Wäre es denn so ganz unmöglich, daß in Ihrer Art, über persönliche Beziehungen zu urtheilen, nicht eine leichte Abstufung von romanhafter Uebertreibung sey? Um die neue Heloise zu schreiben, bedarf es einer schönen Einbildungskraft; aber für die Angelegenheiten dieses irdischen Lebens ist ein wenig .Vernunft vonnöthen, und wenn man anders will, so sieht man die Dinge, wie sie sind. Sollten Ihre Freunde Sie wirklich betrügen, so müssen Sie mit Ihnen brechen; aber Sie würden den Verstand verloren haben, wenn Sie sich darüber härmen wollten. Denn von Heiden kann nur eins Stattfinden: entweder sie sind Ihrer Achtung werth, und dann thun Sie Unrecht daran, daß Sie Mißtrauen hegen; oder Ihr Verdacht ist gegründet, und dann verdienen solche Freunde kein Bedauern."
Nach Anhörung einer solchen Dilemma hätte J. J. Rousseau noch eine dritte Parthie nehmen können, nemlich die, sich ins Wasser zu stürzen.
Aber was würde ein religiöser Einsiedler ihm gesagt haben?
„Mein Sohn, ich kenne die Welt nicht, und weiß nicht, ob man Dir übel will. Aber wenn dem so seyn sollte, so hättest Du dies mit allen Guten gemein, die qleichwol ihren Feinden verziehen haben; denn Jesus Christus und Sokrates, der Gott und der Mensch, haben das Beispiel gegeben, damit die Prüfung der Gerechten hienieden vollendet werde, muß es gehässige Leidenschaftten geben. Die heilige Therese sagte von den Bösen; die Unglücklichen, sie lieben nicht, und dennoch leben auch sie, damit es ihnen nicht an Zeit zur Reue fehle."
„Du hast vom Himmel bewundernswürdige Gaben empfangen. Wenn sie Dir gedient haben, das Gute als liebenswürdig darzustellen, wie solltest Du dann nicht den Genuß gehabt haben, ein Vertheidiger der Wahrheit auf Erden gewesen zu seyn? Hast Du durch deine hinreißende Beredsamkeit die Herzen gerührt, so werden von den Thränen, die durch Dich geflossen sind, auch Dir einige zu Gute kommen. Feinde hast Du in deiner Nähe, Freunde in der Ferne unter den Einsiedlern, die dich lesen, und Du hast Unglückliche besser getröstet, als wir Dich selbst trösten können. Warum habe ich nicht das Talent, mich Dir verständlich zu
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