Ueber Deutschland
Kanzler Bacon sagt: "die Glückseligkeiten sind die Segnungen des alten Testaments, und die Widerwärtigkeiten die des neuen."] In Wahrheit, wenn man nicht überzeugt wäre, daß das Unglück ein Mittel der Vervollkommnung ist, bis zu welchem Uebermaß von Erbitterung würde es nicht führen? Warum uns ins Leben rufen, um uns von demselben verzehren zu lassen? Warum alle Foltern und alle Wunder des Universums in einem schwachen Herzen concentriren, das da fürchtet und hofft? Warum uns die Macht zu lieben geben, und uns dann alles, was wir mit Liebe umfaßt haben, entreißen? Endlich, wozu der Tod, der schreckliche Tod? Wenn die Täuschung der Erde ihn uns vergessen macht, wie stark meldet er selbst sich bei uns an! Inmitten von allen glänzenden Scenen dieser Welt entfaltet er seine schwarze Fahne.
C ozi trapassa aI trapassar d'un giorno
Della vita mortal il fiore e'l verde;
Ne perchè faccia indietro April ritorno,
Si rinfiora ella mai, ne si rinverde.
[So schwindet, mit dem Schwinden einer Sonne,
Der Menschenblüthe kurzer Tageslauf.
Der Frühling kehrt zurück, mit ihm die Wonne;
Doch nimmer blüht Erstorbenes wieder auf.
(Tasso's befreites Jerusalem sechszehnter Gesang.)]
Man hat auf einem Ballfeste jene Fürstin [Die Fürstin Pauline von Schwarzenberg.] gesehen, welche, als Mutter von acht Kindern, noch den Zauber einer vollkommnen Schönheit mit aller Würde mütterlicher Tugenden vereinigte. Sie eröffnete den Ball, und die melodischen Töne der Musik bezeichneten die der Freude geweiheten Augenblicke. Blumen schmückten ihr schönes Haupt; und Putz und Tanz mußten sie in die ersten Tage ihrer Jugend zurückversetzen. Gleichwol schien sie eben die Freuden zu fürchten, an welche so viele glückliche Erfolge sie hätten fesseln können. Ach! wie wurde dies unbestimmte Vorgefühl verwirklicht! Plötzlich werden aus den zahllosen Kerzen, welche den Glanz des Tages ersetzen, eben so viel verzehrende Flammen; und die abscheulichsten Leiden treten an die Stelle des glänzenden Luxus eines Festes. Welch ein Contrast! Wer könnte ermüden, darüber zu denken? Nein, nie waren menschliche Größe und menschlicher Jammer einander so nahe gebracht; und unser beweglicher Gedanke, der sich durch die düsteren Drohungen der Zukunft so leicht zerstreuen läßt, wurde in derselben Stunde von allen glänzenden und fürchterlichen Bildern getroffen, welche das Geschick auf der Bahn der Zeit gewöhnlich von einem Zwischenraum zum andern ausstreut. Indeß hatte kein Unfall die Frau berührt, die nur aus eigener Wahl sterben sollte. Sie war gerettet; sie konnte den Faden des so tugendhaften Lebens, das sie seit fünfzehn Jahren führte, wieder anknüpfen. Aber eine von ihren Töchtern ist in Gefahr; und das zarteste und furchtsamste Wesen stürzt sich in eben die Flammen, vor welchen Krieger zurückweichen würden. Alle Männer werden gefühlt haben, was sie empfunden haben muß? Wer aber könnte sich stark genug fühlen, ihr nachzuahmen? wer so auf sein Gemüth rechnen, um nicht die Schauder zu empfinden, welche die Natur beim Anblick eines scheußlichen Todes aufruft? Eine Frau hat ihnen getrotzt; und wiewohl der Todesstreich sie in eben diesem Augenblicke traf, so war doch ihre letzte Handlung die einer Mutter. In diesem erhabenen Moment trat sie vor Gott, und was ihr hienieden übrig blieb, konnte nur an dem Namenszuge ihrer Kinder erkannt werden, welcher den Ort bezeichnete, wo dieser Engel heimgegangen war. Ach! alles was in diesem Gemählde schauderhaft ist, wird durch die Strahlen der himmlischen Glorie gemildert. Diese hochherzige Pauline wird künftig die Heilige der Mütter seyn; und wenn ihre Blicke sich noch nicht gen Himmel wagen sollten, so werden sie ausruhen auf dieser lieblichen Gestalt und sie bitten, daß sie den Segen Gottes für ihre Kinder erflehe.
Wenn es gelungen wäre, die Quelle der Religion auf Erden auszutrocknen, was würde man Denen sagen, welche das reinste aller Schlachtopfer fallen sehen? was denen, die es geliebt haben? Und mit welcher Verzweiflung, mit welcher tiefen Furcht vor dem Schicksal und seinen geheimen Tücken würde das Gemüth nicht erfüllt seyn!
Nicht bloß, was man sieht, sondern auch was man sich vorstellt, würde den Gedanken niederschmettern, wenn in uns nicht etwas vorhanden wäre, was uns von dem Ungefähr befreiet. Hat man nicht in einem dunklen Kerker gelebt, wo jede Minute ein Schmerz war, und wo man nur so viel Lust genoß, als nöthig war, die Leiden wieder
Weitere Kostenlose Bücher