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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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heftet sich nicht an gesellschaftlichen Beifall. Der kleinste Schriftsteller will etwas mit der Nachwelt zu schaffen haben; aber indem er sich nach seiner Bequemlichkeit, in den Raum gränzenloser Betrachtungen verliert, wird er minder von Menschen geklemmt, und ist daher weniger gegen sie aufgebracht. Indeß sind die Gelehrten und die Geschäftsmänner in Sachsen zu sehr von einander geschieden, als daß sich ein Gemeingeist offenbaren könnte. Die Folge davon ist, daß die Einen über alles, was Geschäft heißt, in einer allzu großen Unwissenheit leben, um irgend einen Einfluß auf das Land zu haben, und daß die Andern sich einen gewissen Macchiavellismus zur Ehre rechnen, der hochherzigen Ideen ungefähr eben so zulächelt, wie Kindern, und ihnen zu verstehen giebt, daß sie nicht von dieser Welt sind.
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Fünfzehntes Capitel. Weimar.
    Von allen Fürstenthümern Deutschlands zeigt keins in solchem Maaße wie Weimar, die Vorzüge eines kleinen Landes, wenn sein Fürst ein Mann von vielem Geiste ist, und ohne etwas vom Gehorsam einzubüßen, seinen Unterthanen zu gefallen suchen kann. Ein solcher Staat bildet eine besondere Gesellschaft, in welcher man durch die innersten Beziehungen zu einander gehört. Die Herzogin Luise von Sachsen-Weimar ist das wahre Muster einer von der Natur zum höchsten Range bestimmten Frau. Ohne Anmaßung, ohne Schwachheit, erweckt sie zugleich und in gleichem Grade Vertrauen und Ehrfurcht; der Heldensinn der Ritterzeit ist in ihre Seele gedrungen, ohne ihr von der Sanftmuth ihres Geschlechts das Geringste zu benehmen. Die militärischen Talente des Herzogs werden allgemein geschätzt. Seine geistreiche, sinnige Unterhaltung erinnert mit jedem Augenblick daran, daß er des großen Friedrichs Zögling gewesen; sein Geist und der Geist seiner durchlauchtigen Mutter [115] hat Weimar zum Sammelplatz der vorzüglichsten Geister gemacht. Zum erstenmale erhielt Deutschland eine gelehrte Hauptstadt; doch konnte diese Hauptstadt, da sie übrigens sehr klein ist, nur durch ihr literärisches Licht Aufsehen erregen, ohne zugleich die Mode der Schöngeisterei, welche, wie alle übrigen, Einförmigkeit hervorbringt, aus ihrem zu engen Kreise allgemein verbreiten zu können.
    Herder war gestorben, als ich in Weimar ankam; aber Wieland, Schiller und Göthe lebten noch. Ich werde im nächsten Abschnitte dieses Werks, jeden dieser Männer besonders schildern; ich werde sie vor allem aus ihren Schriften schildern, denn ihre Schriften stimmen mit ihrem Gemüthe, mit ihrer Unterhaltung vollkommen überein. Dergleichen Uebereinstimmung ist selten, und ein untrügliches Zeichen der Offenheit; denn, sobald ein Schriftsteller es sich zum Hauptzwecke macht, Eindruck und Aufsehen zu erregen, wird er sich nie zeigen, wie er ist; schreibt er aber, um der inneren Begeisterung, die sein Gemüth ergriff, Luft zu machen, so legt er, selbst ohne es zu wollen, auch die kleinsten Nüanzen seiner Art zu seyn und zu denken, in seine Schriften.
    Der Aufenthalt in kleinen Städten ist mir von jeher über alle Maßen langweilig vorgekommen. Er engt den Geist der Männer ein und macht das Herz der Frauen zu Eis; man lebt einander so nahe, daß man von einander gedrängt und gedrückt wird. In großen Städten waltet eine öffentliche Meinung, die uns anreizt und von ferne in unsern Ohren erschallt, wie die Posaune des Ruhms; in kleinen Städten ist man einer kleinlichen Prüfung aller seiner Handlungen unterworfen; jeder einzelne Zug unsers Lebens wird beobachtet und macht das Auffassen des Characters [116] im Ganzen unmöglich; und je mehr man der Unabhängigkeit, der Größe zustrebt, desto schwerer wird einem das Luftathmen hinter den Stäbchen eines – Vogelbauers.
    Dieser peinliche Zwang fand nicht in Weimar statt. Weimar war keine kleine Stadt; es war ein großes Schloß, wo eine ausgesuchte Gesellschaft sich mit Theilnahme über jedes neue Kunstproduct unterhielt. Liebenswürdige Schülerinnen einiger höhern Köpfe beschäftigten sich mit literärischen Arbeiten, als wären es die wichtigsten Neuigkeiten der Zeit gewesen, zogen durch Lesen und Studieren die Welt zu sich heran und entrissen sich mit Hülfe des unermeßlichen Gedankenraums den Zwangsformen der Umstände. Im gemeinschaftlichen Nachdenken über die großen Fragen, welche das allgemeine Schicksal auswirft, vergaß jeder die Privatanecdoten im Leben seines Nachbars. Hier fand man keinen erbärmlichen Kleinstädter, der so gar

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