Ueber Deutschland
soll.
Winkelmann hat in Europa die Vermischung des antiken und des modernen Geschmacks in der Kunst verbannt. In Deutschland zeigte sich sein Einfluß auf die Literatur noch deutlicher als auf die Kunst. Ich werde später zu der Erörterung der Frage kommen, ob die ängstliche Nachahmung der Alten sich mit der natürlichen Eigenthümlichkeit verträgt, oder ob man vielmehr diese natürliche Eigenthümlichkeit aufopfern, und sich den Zwang auflegen solle, Gegenstände zu wählen, in denen die Poesie, wie die Malerei, nichts Lebendes zum Vorbild nehmend, nur Bildsäulen darstellen kann. Diese Untersuchung thut jedoch Winkelmanns Verdienst auf keine Weise Eintrag: er zeigte, worin der antike Geschmack in der Kunst bestehe; die Neueren mochten nun fühlen, was sie in dieser Hinsicht anzunehmen oder zu verwerfen hätten. Wenn ein Mann von Talent uns die Geheimnisse einer antiken oder fremden Natur enthüllt, so thut er das Seinige durch den gegebenen Anstoß; die dadurch hervorgebrachte Regung muß sich aber in uns. selbst gestalten, und je wahrhafter sie ist, diese Anregung, um desto minder wird sie sclavische Nachahmung aufkommen lassen. Winkelmannen verdankt man die Entwickelung der jetzt in die Kunstlehre aufgenommenen wahren Grundsätze über das Ideal, diese Vervollkommnung der Natur, dessen Urbild in unserer Einbildungskraft liegt, nicht außer uns. Die Anwendung dieser Grundsätze auf die Literatur ist besonders ergiebig.
Die Poetik aller Künste ist in Winkelmanns Schriften unter einen einzigen Gesichtspunkt gebracht, und zwar zum Vortheil aller. Man hat die Poesie durch die Sculptur, die Sculptur durch die Poesie besser verstehn gelernt, und durch die Kunst der Griechen den Weg zu ihrer Philosophie gefunden. Die idealistische Metaphysik hat bei den Deutschen sowohl als bei den Griechen keinen andern Ursprung als den Dienst des höchsten Schönen, das unsre Seele allein aufzufassen, und zu erkennen vermag; dieses wundervolle Schöne ist eine Erinnerung des Himmels, unsers ursprünglichen Vaterlandes. Phidias Meisterwerke, Sophocles Tragödien, und Platons Lehre, alle vereinen sich, uns davon den nämlichen Begriff zu geben, wenn gleich unter verschiedenen Formen.
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Siebentes Capitel. Goethe.
Was Klopstock mangelte, war eine schöpferische Einbildungskraft; er verstand es, große Gedanken und edle Gefühle in schönen Versen auszusprechen, aber einen Künstler im eigentlichen Sinne kann man ihn nicht nennen. Seine Erfindungen sind schwach, und die Farben, die er ihnen leiht, haben fast nie die Fülle von Kraft, die man so gern in der Poesie und in allen den Künsten wiederfinden mag, deren Bestimmung es ist, der Dichtung die Energie und die Eigenthümlichkeit der Natur zu geben. Klopstock verliert sich im Ideal: Göthe behält immer festen Boden, wenn er sich auch zu den höchsten Schwüngen erhebt. Sein Geist hat eine Stärke, die durch sein Gefühl nie leidet. Göthe könnte für den Repräsentanten der ganzen deutschen Literatur gelten; nicht, als ob sie nicht in mancher Beziehung Schriftsteller zählte, die noch über ihm stehen, sondern weil er in sich allein alles vereinigt, was den Geist der Deutschen von Andern unterscheidet, und weil keiner so ausgezeichnet ist durch eine Gattung der Einbildungskraft, von welcher weder die Italiener, noch die Engländer, noch die Franzosen, sich einen Theil aneignen dürfen.
Da Göthe Schriftsteller in allen Gattungen ist, so wird die Beleuchtung seiner Werke den größten Theil der folgenden Capitel ausfüllen; doch dünkt mich, wird die persönliche Kenntniß des Mannes, der den größten Einfluß auf die Literatur seines Vaterlandes geäußert hat, dazu dienen, diese Literatur selbst besser zu verstehen.
Göthe ist für die Unterhaltung ein Mann von verwundernswürdigem Geiste, und man mag sagen, was man will, wer Geist hat, muß sprechen können. Es giebt wohl einzelne Beispiele von schweigsamen hohen Naturen: Schüchternheit, Unglück, Verachtung, Langeweile, sind oft davon der Grund; im Allgemeinen aber kann man behaupten, daß Fülle der Ideen und Wärme des Gemüths das Bedürfniß erzeugen müssen, sich Andern mitzutheilen, und Menschen, die nicht nach dem beurtheilt seyn wollen, was sie sagen, dürften leicht kein größeres Interesse für das, was sie denken, verdienen. Wenn man die Kunst versteht, Göthe zum Sprechen zu bringen, ist er bewundernswerth; seine Beredtsamkeit wird von Gedanken erzeugt; sein Scherz ist zugleich
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