Ueber Deutschland
voll Anmuth und voll Philosophie; seine Einbildungskraft durch äußre Gegenstände aufgeregt, wie etwa die der Künstler im Alterthum, und doch hat seine Vernunft nur zu sehr die Reife unsrer Zeit. Nichts stört die Kraft seines Kopfes, und selbst die Inconvenienzen seines Characters, Launen, Verlegenheit, Zwang, ziehn wie Wolken hin, am Fuß des Berges, auf dessen Gipfel sein Genie erhaben ruht.
Was man von Diderots Unterhaltung erzählt, dürfte vielleicht eine Idee von Göthe's geben; wenn man jene aber nach Diderots Schriften beurtheilt, so erscheint der Abstand zwischen diesen beiden Männern unendlich groß. Diderot stand unter dem Joch seines Witzes; Göthe herrscht selbst über sein Talent: Diderot wird geziert aus dem Bestreben Effect zu machen; in Göthe geht die Verachtung des Erfolgs seiner Schriften bis zu einem Grade, der immer gefällt, selbst, wenn man über seine Nachläßigkeit ungeduldig werden muß: Diderot sah sich genothigt, durch Philanthropismus die religiösen Gefühle zu ersetzen, die ihm mangelten; Göthe würde es vorziehn, bitter, als süßlich zu seyn; was er aber vor allen Dingen ist, er ist natürlich, und wahrlich, was ist ohne diese Eigenschaft wohl in einem Menschen, was einen Andern interessiren könnte?
Göthe besitzt nicht mehr diese hinreißende Glut, die ihm den Werther eingab; aber die Wärme seiner Gedanken reicht noch vollkommen hin, um Alles zu beleben. Man möchte von ihm sagen, daß das Leben ihn selbst nicht berühre, und daß er es bloß darstelle, wie ein Maler; er setzt in die Gemälde, die er uns vor Augen bringt, einen höhern Werth, als in die Rührungen, die er empfindet; die Zeit hat ihn zum Zuschauer gebildet; als er noch eine thätige Rolle spielte auf der Bühne der Leidenschaften, als er selbst noch durch sein Herz litt, machten auch seine Schriften einen tieferen Eindruck.
Da sich jeder Dichter eine Poetik nach seinem Talente bildet, so stellt Göthe jetzt die Behauptung auf, der Schriftsteller müsse ruhig seyn, auch wenn er ein leidenschaftliches Werk erzeuge, und der Künstler sein kaltes Blut bewahren, um stärker auf die Einbildungskraft der Leser zu wirken. Vielleicht hätte er in seiner früheren Jugend gleiche Meinung nicht gehegt, vielleicht beherrschte ihn damals sein Genie, wie er jetzt dessen Meister ist, vielleicht endlich fühlte er damals, daß, da das Erhabene und Göttliche nur auf Augenblicke im Herzen des Menschen wohnen, der Dichter unter der Begeisterung stehe, die ihn belebt, und nicht über sie urtheilen könne, ohne sie einzubüßen.
Im ersten Augenblicke staunt man, in dem Dichter Werthers Kälte, ja selbst eine Art von Steifheit, zu finden; aber kann man es über ihn gewinnen, daß er es sich bequem mache, so verscheucht die Beweglichkeit seiner Einbildungskraft bald gänzlich den früher empfundenen Zwang; er ist ein Mann von universellem Geiste, und unpartheiisch, eben weil er universell ist: denn in seiner Unpartheilichkeit liegt keine Gleichgültigkeit, es ist vielmehr ein doppeltes Daseyn, eine Doppelkraft, ein Doppellicht, welche bei allen Gegenständen zu gleicher Zeit beide Seiten einer Frage beleuchten. Sein Denken hält nichts in seinem Laufe auf, nicht sein Jahrhundert, nicht seine Gewohnheiten, nicht seine Verhältnisse; senkrecht trifft sein Adlerblick die Gegenstände, die er in's Auge faßt: hätte er eine politische Laufbahn gehabt, hätte sich seine Seele in Thaten entwickelt, so wäre sein Character entschiedner, fester, patriotischer geworden, aber sein Geist würde nicht so frei über allen Gattungen von Ansichten schweben; Leidenschaften oder Interesse zeichneten ihm dann einen positiven Weg vor.
Göthe liebt es, in seinen Schriften, wie in seinen Gesprächen, Fäden zu zerreißen, die er selbst gewebt hat, mit Rührungen zu spielen, die er selbst erregt, Statuen umzustürzen, die er zur Bewunderung aufgestellt. Kaum hat er in seinen Dichtungen Interesse für einen Character erzeugt, so zeigt er in ihm Inconsequenzen, die wieder von ihm abziehn. Er schaltet mit der poetischen, wie ein Eroberer mit der reellen Welt, und fühlt sich Kraft genug, wie die Natur, Zerstörung in sein eignes Werk zu bringen. Wäre er nicht ein achtungswerther Mann, man müßte vor dieser Art der Superiorität Furcht bekommen, die über alles sich erhebt, die niederdrückt und aufrichtet, erweicht und darüber spottet, wechselsweise in einem Glauben befestiget und wieder daran zweifeln macht, und alles immer mit gleichem Glück.
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