Ueber Deutschland
beschäftigte sich nach der Reihe mit der Bühne, der Philosophie, den Alterthümern, und der Theologie, die Wahrheit stets verfolgend wie ein Jäger, dem das Jagen noch größere Lust gewährt, als die Beute. Sein Stil hat einige Aehnlichkeit mit dem durch lebendige und glänzende Kürze ausgezeichneten der Franzosen; er strebte danach, das Deutsche zu einer classischen Sprache zu erheben. Die Schriftsteller der neuen Schule umfassen mehr Gedanken auf einmal, Lessing jedoch verdient allgemeinere Bewunderung; sein Geist war neu und kühn, und dessen ungeachtet den gewöhnlichen Menschen faßlich; seine Art zu sehen war Deutsch, seine Art, sich auszudrücken, Europäisch. Ein geistreicher und in seinen Schlüssen gedrungener Dialectiker, war er im Grund der Seele doch mit Enthusiasmus für das Schöne erfüllt; eine Gluth ohne Flamme war ihm eigenthümlich, und eine immer rege philosophische Heftigkeit, die durch wiederholte Schläge Wirkungen von Dauer erzeugte.
Lessing analysirte das französische Theater, das damals allein in seinem Vaterlande in Schwange war, und stellte die Behauptung auf, daß das Englische in einer größeren Verwandtschaft zu dem Geiste seiner Landsleute stände. In seinen Beurtheilungen der Merope, Zaire, Semiramis und Rodogune, hebt er nicht etwa die oder jene besondere Unwahrscheinlichkeit heraus, sondern greift gradezu die Wahrheit der Gefühle und Charactere an, indem er die in diesen Dichtungen handelnden Personen, als wirkliche Wesen, vor den Richterstuhl fordert. Um die Urtheile Lessings über das System der dramatischen Kunst im Allgemeinen mit Gerechtigkeit würdigen zu können, muß man, wie ich es in den folgenden Capiteln thun werde, die Hauptverschiedenheiten prüfen, die in den Ansichten der Franzosen und der Deutschen über diesen Gegenstand Statt finden. Bedeutend bleibt es aber immer für die Geschichte der Literatur, daß ein Deutscher den Muth faßte, einen großen französischen Schriftsteller zu critisiren, und voll Geist mit dem Fürsten der Spötter, Voltaire, selbst seinen Scherz zu treiben.
Es war ein Großes für ein Volk, das unter dem Anathem, welches ihm Geschmack und Anmuth absprach, seufzte, zu hören: daß jedes Land einen Nationalgeschmack, eine natürliche Anmuth besitze, und der literarische Ruhm auf verschiedenen Wegen erworben werden könne. Lessings Schriften gaben einen neuen Anstoß; man fing an, den Shakspeare zu lesen, man wagte in Deutschland, sich einen Deutschen zu nennen, und an der Stelle des Joches der Correctheit trat die Volks-Eigenthümlichkeit in ihre Rechte.
Lessing hat theatralische und philosophische Werke geschrieben, welche beide besonders geprüft zu werden verdienen; man muß die deutschen Schriftsteller jederzeit unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Da sie durch Kraft des Denkens mehr noch glänzen, als durch Talent, so widmen sie sich nicht ausschließlich einer Gattung, und das Nachdenken führt sie nach und nach auf verschiedene Bahnen.
Unter Lessings Schriften ist Laocoon eine der merkwürdigsten; es werden darin die Gegenstände, die sich zu Vorwürfen der Poesie und der Mahlerei eignen, mit eben so viel Philosophie in den Grundsätzen als Scharfsinn in der Wahl der Beispiele, beleuchtet; doch bleibt Winkelmann immer derjenige, von dem in Deutschland eine wahre Revolution, in der Art, die Kunst, und durch die Kunst die Literatur, zu betrachten, ausging. Ich werde an einem andern Orte in Hinsicht seines Einflusses auf die Kunst von ihm sprechen; aber auch die Schönheit seines Stils ist so ausgezeichnet, daß man ihn in die Reihe der ersten deutschen Schriftsteller setzen muß.
Dieser Mann, der anfänglich das Alterthum nur aus Büchern kannte, wollte selbst hingehen, dessen hohe Ueberbleibsel zu schauen: eine innere Glut zog ihn nach dem Süden, wie man denn häufig in der Einbildungskraft der Deutschen Spuren jener Liebe zur Sonne findet, die aus den Beschwerlichkeiten des Nordens entspringt, welche die mitternächtlichen Völker in die mittäglichen Länder zogen. Ein schöner Himmelsstrich erzeugt Gefühle, der Vaterlandsliebe ähnlich. Als Winkelmann, nach einem langen Aufenthalte in Italien, von dort nach Deutschland zurückkam, so erfüllte ihn der Anblick des Schnees, der spitzen Dächer, die er bedeckt, und der durchräucherten Häuser, mit Traurigkeit. Es schien ihm, daß er den Geschmack an den Künsten verliere, so wie er die Luft nicht mehr einathme, die ihnen das Daseyn gab. Welche contemplative
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