Ueber Deutschland
Beredtsamkeit ist in dem, was er über den Apoll von Belvedere, über den Laocoon sagt! Sein Stil ist ruhig und majestätisch, wie die Gegenstände, welche er seiner Betrachtung unterwirft. Er weiß seiner Kunst, sie zu schildern, die imposante Würde der Kunstdenkmäler selbst zu geben, und seine Beschreibungen machen den nämlichen Eindruck, wie die Statuen. Niemand vor ihm hatte es verstanden, genaue und tiefe Bemerkungen mit einer so lebendigen Bewunderung zu vereinigen, und doch ist dies die einzige Art, die Kunst zu ergründen. Die Achtung gegen sie muß aus der Liebe zu ihr fließen, und in den Meisterstücken des Talents müssen, wie in den Zügen eines geliebten Wesens, sich tausend Reize entdecken, die die Empfindungen, welche sie einflößen, offenbaren.
Dichter hatten, vor Winkelmann, griechische Tragiker studirt, um ihre Werke unsern Bühnen anzupassen. Gelehrte gab es, die man, wie Bücher, zu Rathe ziehen konnte; niemand aber hatte, wie Winkelmann sich, so zu sagen, selbst zum Heiden gemacht, um ganz in das Alterthum einzudringen. Winkelmann hat die Fehler, wie die Vorzüge eines kunstliebenden Griechen, und man fühlt in seinen Schriften eine Anbetung der Schönheit, wie sie sich bei einem Volke finden mußte, wo ihr so häufig die Ehre der Apotheose zu Theil wurde.
Einbildungskraft und Gelehrsamkeit liehen beide Winkelmann ihr Licht, vor ihm hatte man die Ueberzeugung, daß sie sich einander ausschlössen. Er zeigte, daß, um die Alten zu enträthseln, das Eine so nöthig, als das Andere, sey. Gegenständen der Kunst kann man nur Leben geben durch die genaue Kenntniß des Landes und der Zeit, in denen sie vorhanden waren. Schwankende Züge fesseln das Interesse nicht. Sollen Erzählungen und Dichtungen, die in entfernten Jahrhunderten spielen, belebt erscheinen, so muß die Gelehrsamkeit selbst der Einbildungskraft zu Hülfe kommen, und sie, wenn es möglich ist, zum Zeugen dessen, was sie darstellt, zum Zeitgenossen dessen, was sie erzählet, machen.
Zadig errieth mittelst einiger verworrenen Spuren, mittelst einiger ergriffenen Worte, Umstände, die er alle aus den leisesten Anzeigen herleitete. So muß man die Gelehrsamkeit zur Leiterin durch "das Alterthum; wählen; die Spuren, die sich von demselben noch vorfinden, sind unterbrochen, verwischt, schwer zu erfassen; hilft man sich jedoch gleichzeitig mit der Einbildungskraft und dem Studium, so stellt man vergangne Zeiten von neuem her, und schafft erloschnes Leben wieder.
Wenn der Richter über das Daseyn einer Thatsache entscheiden soll, so ist es oft ein kleiner Umstand, der ihm Licht giebt. Die Einbildungskraft ist, in der Ergründung des Alterthums, dem Richter zu vergleichen; ein Wort, ein Gebrauch, eine Anspielung, die man in den Werken der Alten findet, werfen einen Schein, bei welchem man die ganze Wahrheit erkennt.
Winkelmanns Urtheil über die Denkmäler der Kunst nimmt den Gang beurtheilender Menschenkenntniß. Er untersucht die Gesichtszüge einer Bildsäule, wie die eines lebenden Wesens. Mit großer Genauigkeit faßt er die geringfügigst scheinenden Beobachtungen auf, um daraus höchst überraschende Schlüsse zu ziehen. Bald ist es eine Physionomie, bald ein Attribut, bald ein Kleidungsstück, was plötzlich eine ganz unerwartete Helle über Gegenstände langer Forschungen verbreitet. Ceres Haare sind mit einer Zwanglosigkeit aufgesteckt, wie sie für Minerva nicht paßt: die Mutter Proserpina's zeigt auch im Aeußem den ewigen Schmerz über ihren Verlust. Minos, Sohn und Schüler Jupiters, trägt auf den alten Münzen die Züge seines Vaters; dennoch bezeichnet die ruhige Größe des einen, und der strenge Ausdruck in dem Bild des andern, bei jenem, den Fürsten der Götter, bei diesem, den Richter der Menschen. Der Torso ist ein Fragment des Gott-gewordenen Hercules, wie er von Hebe den Becher der Unsterblichkeit empfängt, während der farnesische Hereules nur noch die Attribute eines Sterblichen trägt; die Umrisse des Torso, zwar eben so kräftig. aber geründeter als bei jenem, bezeichnen die Kraft des Helden; doch eines Helden, der in den Himmel versetzt, nun losgesprochen ist von den schweren irdischen Arbeiten. Alles ist symbolisch in der Kunst, und die Natur erscheint unter tausendfältig verschiedenen Gestalten in jenen Statuen, Gemälden und Gedichten, in denen die Unbeweglichkeit die Bewegung andeuten, das Aeußere der Seele Innerstes enthüllen, das Daseyn des Augenblicks zu einer Ewigkeit werden
Weitere Kostenlose Bücher