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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Ist dies aber ein Uebel? Bei allen Nationen, die sich schmeichelten, dahin gelangt zu seyn, sah man fast unmittelbar darauf den Verfall eintreten, und die Nachahmer den klassischen Schriftstellern folgen, gleichsam um Eckel davor zu erregen.
    Es giebt in Deutschland eben so viele Dichter als in Italien: die Menge der Versuche, in welcher Gattung es seyn möge, deutet auf den Hang, den eine Nation ihrer Natur nach hat. Ist die Liebe zur Kunst in ihr allgemein verbreitet, so nehmen die Geister von selbst die Richtung zur Poesie, wie anderswo zur Politik oder zum Handels-Interesse. Es gab bei den Griechen eine Unzahl von Dichtern, und nichts ist dem Genie günstiger, als von einer großen Menge Menschen umgeben zu seyn, welche die nämliche Bahn verfolgen. Künstler sind nachsichtige Richter gegen Fehler, weil sie die Schwierigkeiten kennen; aber sie sind auch anspruchsvoll, wo sie billigen; es bedarf großer Schönheiten und neuer Schönheiten, um in ihren Augen die Meisterstücke zu erreichen, mit denen sie sich unaufhörlich beschäftigen. Die Deutschen improvisiren so zu sagen, indem sie schreiben; und diese große Leichtigkeit ist das wahre Zeichen des Talents für die Künste, denn sie müssen wie die Blumen des Südens, ohne Anbau aufwachsen; die Arbeit vervollkommnet sie, aber die Imagination spendet in Ueberfluß, wenn eine freigebige Natur damit die Menschen beschenkte. Es ist unmöglich, alle deutsche Dichter anzuführen, die eines besondern Lobes würdig wären; ich muß mich hier bloß darauf beschränken, auf eine allgemeine Weise die drei Schulen zu betrachten, die ich bereits bei Angabe des historischen Ganges der deutschen Literatur unterschieden habe.
    Wieland ahmte in seinen Romanen Voltaire nach, oft Lucian, der in philosophischer Hinsicht der Voltaire des Alterthums ist, zuweilen Ariosten, und unglücklicher Weise auch Crebillon. Er hat mehrere Rittergeschichten in Versen erzählt, Gandalin, Gerion den Adlichen, Oberon u.s.w., in denen mehr Empfindsamkeit, aber immer weniger Grazie und Heiterkeit, als im Ariost sich findet. Die deutsche Sprache bewegt sich überall nicht mit der Leichtigkeit des Italienischen, und die Scherze, die jener Sprache, die ein wenig mit Consonanten überladen ist, ziemen, sind eher solche, die mit der Kunst, scharf zu characterisiren, als mit der, leicht anzudeuten, zusammenhängen. Idris und der neue Amadis sind Feenmährchen, in denen die weibliche Tugend auf jedem Blatte der Gegenstand unabläßiger Spöttereien ist, die aufhören, unmoralisch zu seyn, weil sie langweilig werden. Uebrigens scheinen mir Wielands Rittergeschichten viel besser, als seine, dem Griechischen nachgebildeten Gedichte: Musarion, Endymion, Ganymed, das Urtheil des Paris u.s.w. Die Ritterhistorien sind in Deutschland national. Der natürliche Geist der Sprache und der Dichter neigt dahin, die Heldenthaten und die Liebes-Abenteuer jener Ritter und jener Schönen zu schildern, die in ihren Empfindungen zugleich so kräftig und so naiv, so wohlwollend und so fest waren; wenn aber Wieland moderne Anmuth in griechische Gegenstände bringen wollte, mußten sie dadurch nothwendiger Weise manierirt werden. Alle, die den antiken Geschmack mit dem modernen, oder den modernen mit dem antiken versetzen wollen, werden fast immer affectirt. Um dieser Klippe zu entgehen, muß man jede Gattung vollständig nach ihrer eigentlichen Natur nehmen.
    Der Oberon gilt in Deutschland fast für ein Epos. Er gründet sich auf eine französische Rittergeschichte, Huon von Bourdeaux , von welcher Herr von Tressan einen Auszug geliefert hat; der Elfe Oberon und die Fee Titania, wie sie Shakespear in seinem Sommernachtstraum dargestellt, sind die mythologischen Personen dieses Gedichts. Der Stoff ist aus unsern alten Romanschreibern gezogen, aber was Wieland an Poesie hinzugethan, verdient das höchste Lob. Der Scherz, der aus dem Wunderbaren fließt, ist darin mit vieler Anmuth und Originalität behandelt. Huon wird, in Folge mehrerer Abenteuer, nach Palästina gesandt, um die Tochter des Sultans zur Ehe zu begehren; und wenn der Schall seines zauberischen [231] Horns die gravitätischen Personen, die sich dieser Heirath in den Weg stellen, zum Tanzen zwingt, so wird man dieses komischen Effects, wie oft er geschickter Weise wiederholt wird, nicht müde; mit wie lebhafterer Darstellung der Dichter die pedantische Ernsthaftigkeit der Imans und der Visire am Hofe des Sultans mahlt, um desto mehr belustigt ihr unwillkührlicher

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