Ueber Deutschland
groß. Wenn es darauf ankommt, auf der Bühne zu gefallen, so hängt allerdings von der Kunst, sich in einem gegebenen Ra[h]men zu beschränken, den Geschmack der Zuschauer zu errathen, und sich ihm mit Geschicklichkeit anzuschmiegen, ein Theil des Erfolges ab; in der Composition eines epischen Gedichtes aber muß nichts von äußeren und vorübergehenden Umständen abhängig seyn. Ein solches fordert absolute Schönheiten, Schönheiten, die den Leser auch in der Einsamkeit, wo seine Gefühle natürlicher und seine Einbildungskraft kühner ist, zu erregen im Stande sind. Wer in einem Epos zu viel wagte, könnte leicht den Tadel des guten französischen Geschmacks erfahren, wer aber nichts wagte, würde um nichts weniger verachtet werden.
Boileau hat unläugbar, obgleich er Sprache und Geschmack vervollkommnete, dem französischen Geiste eine der Poesie sehr ungünstige Richtung gegeben. Er spricht immer nur von dem, was zu vermeiden ist, und hält nur auf gewisse Vorschriften von Vernunft und Mäßigung, die in die Literatur eine Gattung von Pedanterie eingeführt haben, welche dem erhabenen Aufflug der Künste höchst nachtheilig ist. Wir haben im Französischen Meisterstücke von Versification; aber wie kann man Versification Poesie nennen? In Verse übersetzen, was bestimmt war, Prosa zu bleiben, in zehn Sylben, wie Pope, ein Lhombrespiel mit vollständigem Detail bringen, oder, wie unsre neuesten Gedichte in Verse, das Trictrac, das Schach und die Chemie, ist weiter nichts, als ein Taschenspielerstückchen in menschlicher Rede, ist eine Sonate aus Worten statt aus Noten gesetzt, unter dem Namen eines Gedichts.
Doch ist eine große Kenntniß der poetischen Sprache erforderlich, um mit so edlem Ausdruck Gegenstände zu beschreiben, die der Einbildungskraft so wenig Stoff geben: und man bewundert darum mit Recht abgerissene Stücke aus diesen Gemälde-Gallerien; aber die Uebergänge, welche sie verbinden, sind nothwendigerweise prosaisch, wie das, was in dem Kopf des Schriftstellers vorging. Er hat sich gesagt: – ich will über diesen Gegenstand Verse machen, dann über jenen, dann über einen dritten – und unbewußt macht er uns zu Vertrauten in Hinsicht seiner Art zu arbeiten. Der wahre Dichter empfängt auf einmal sein ganzes Gedicht im Innern der Seele, und ohne die Schwierigkeiten der Sprache würde er, wie die Sybille und die Propheten, des Genius geheiligte Hymnen improvisiren. Er ist erschüttert von seinen Empfängnissen, wie von einem Ereigniß seines Lebens; eine neue Welt schließt sich ihm auf, das erhabene Bild jeder Situation, jedes Charakters, jeder Schönheit der Natur, trifft seine Blicke, und sein Herz schlägt für ein himmlisches Glück, das, wie ein Blitz, durch die Nacht seines Schicksals fährt. Die Poesie ist ein augenblicklicher Besitz von alle dem, was unsre Seele wünscht, das Talent heißt die Schranken unsrer Existenz verschwinden, und verwandelt das unbestimmte Hoffen des Menschen in die herrlichsten Glanzbilder.
Es würde leichter seyn, die Symptome des Talents zu beschreiben, als Vorschriften für dasselbe zu geben. Das Genie wird, wie die Liebe, durch die Tiefe der Rührung selbst empfunden, mit der es den damit Begabten durchdringt; wenn man aber diesem Genie, dessen Führer die Natur allein seyn will, Rathschläge geben dürfte, so würden dies nicht bloß literarische seyn müssen. Man müßte zu den Dichtern wie zu Staatsbürgern, wie zu Helden sprechen: Seyd tugendhaft, seyd gläubig, seyd frei! ehret, was ihr liebt, sucht die Unsterblichkeit in der Liebe und die Gottheit in der Natur, heiliget endlich eure Seele wie einen Tempel, und der Engel der edeln Gedanken wird es nicht verschmähen, darin zu erscheinen.
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Eilftes Capitel. Von der classischen und der romantischen Poesie.
Der Name romantisch ist in neuern Zeiten in Deutschland der Gattung von Poesie beigelegt worden, deren Ursprung die Gesänge der Troubadours waren, und die die Ritterzeit und das Christenthum erzeugten. Giebt man nicht zu, daß Heidenthum und Christenthum, der Norden und der Süden, das Alterthum und das Mittelalter, das Ritterthum und die Griechischen und Römischen Einrichtungen sich in das Reich der Literatur getheilt haben; so wird man nie dahin gelangen, den antiken und den modernen Geschmack aus einem philosophischen Gesichtspunkt zu beurtheilen.
Man nimmt zuweilen das Wort classisch für gleichbedeutend mit vollkommen. Ich bediene mich hier desselben in
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