Ueber Deutschland
einem anderen Sinne, indem ich die classische Poesie als die der Alten und die romantische Poesie als diejenige betrachte, die in gewisser Hinsicht mit den Sagen aus der Ritterzeit zusammenhängt. Diese Eintheilung paßt auch zu den beiden Zeitrechnungen der Welt, vor und nach Einführung des Christenthums.
Eben so hat man in verschiedenen deutschen Werken die antike Poesie mit der Sculptur, die romantische mit der Malerei verglichen; kurz, auf alle Weise den Gang des menschlichen Geistes in seinem Ueberschritt von der materialistischen zu der spiritualistischen Religion, von der Natur zur Gottheit zu bezeichnen gesucht.
Die Französische Nation, die cultivirteste unter den Nationen lateinischen Ursprungs, neigt sich gegen die den Griechen und Römern nachgeahmte classische Poesie hin. Die englische Nation, die glorreichste Nation germanischen Stammes, liebt die romantische Ritterpoesie, und darf sich der Meisterstücke rühmen, die sie in dieser Gattung besitzt. Ich will hier nicht untersuchen, welche von diesen beiden Gattungen der Poesie den Vorzug verdiene: es ist hinreichend zu zeigen, daß die Verschiedenheit des Geschmacks, in dieser Hinsicht, nicht allein aus zufälligen Ursachen, sondern aus ursprünglichen Quellen der Einbildungskraft und des Gedankens herrührt.
In dem Epos und in den Tragödien der Alten herrscht eine Gattung von Einfalt, die daher entsteht, daß die Menschen jener Zeit mit der Natur eins waren, und so vom Schicksal abzuhängen glaubten, wie sie von der Nothwendigkeit abhängt. Der Mensch, der damals nur wenig dachte, wandte alle Thätigkeit der Seele nach Außen; das Gewissen selbst wurde durch äußerliche Gegenstände dargestellt, und die Fackeln der Furien schüttelten die Qualen der Reue auf das Haupt des Schuldigen hinab. Im Alterthum war das Ereigniß Alles, in unsrer neueren Zeit greift der Charakter mehr Platz; und das unruhige Reflectiren, welches oft, wie der Geier des Prometheus, an uns nagt, würde den Alten bei ihren klaren und bestimmten bürgerlichen und geselligen Verhältnissen als eine Thorheit erschienen seyn.
In der ersten Zeit der Kunst machte man in Griechenland nur einzelne Statuen; Gruppen wurden erst später zusammengesetzt. Man könnte gleichergestalt mit Wahrheit sagen, daß es in allen Künsten keine Gruppen gab; die dargestellten Gegenstände folgten aufeinander, wie in den Basreliefs, ohne Verbindung oder Verknüpfung irgend einer Art. Der Mensch personificirte die Natur; Nymphen bewohnten die Gewässer und Hamadryaden die Wälder, aber die Natur ihrerseits bemeisterte sich des Menschen; man hätte sagen mögen, daß er dem Sturm, dem Blitz, einem Vulkan gleiche: so sehr handelte er nach einem unwillkührlichen Antrieb und ohne daß die Reflexion irgend weder die Motive noch die Folgen seiner Handlungen zu ändern fähig war. Die Alten hatten, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine körperliche Seele, deren Bewegungen stark, gerade und consequent waren; anders verhält es sich mit dem durch das Christenthum entwickelten menschlichen Herzen; die Neueren haben aus der christlichen Buße die Gewohnheit geschöpft, immer in sich selbst zurückzugehen.
Um nun diese völlig innere Existenz zu offenbaren, muß eine große Mannichfaltigkeit der Thatsachen unter allen Gestalten die unendlichen Nuancen dessen, was in der Seele vorgeht, darstellen. Wenn in unsern Tagen die schönen Künste in die Einfachheit der Alten eingezwängt würden, so würden wir die ursprüngliche Kraft, die jene auszeichnete, nicht erreichen, wohl aber die innigen und vielfachen Rührungen, deren unsre Seele fähig ist, einbüßen. Die Einfachheit der Kunst bei den Neueren würde leicht eine Wendung von Kälte und Abstraction nehmen, während die der Alten voller Leben war. Ehre und Liebe, Tapferkeit und Mitleid sind Gefühle, die das ritterliche Christenthum bezeichnen, und diese Regungen des Gemüths können nur in Gefahren, Heldenthaten, Liebes-Abentheuern, Unfällen, endlich in dem romantischen Interesse, sichtbar werden, welches unaufhörlich in jenen Darstellungen wechselt. Die Quellen der Kunsteindrücke sind also in vieler Hinsicht verschieden in der classischen und romantischen Poesie; in der ersteren herrscht das Schicksal, in der andern, die Vorsehung. Das Schicksal achtet des Menschen Gefühle für nichts, die Vorsehung beurtheilt seine Handlungen nur nach seinen Gefühlen. Wie sollte die Poesie nicht eine Welt ganz anderer Natur schaffen, wenn das Werk eines blinden und
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