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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Pferdegewieher und Sporengeklirre, der Reiter klopft an, sie steigt hinab, und erkennt ihren Geliebten. Er fordert von ihr, daß sie ihm sogleich folge, denn er habe keinen Augenblick zu verlieren, um zur Armee zurückzukommen. Sie fliegt auf ihn zu, er hebt sie hinter sich auf's Pferd und reitet mit Blitzesschnelle von dannen. Nun streift er im Galopp durch die Nacht hin mit ihr über öde und wüste Steppen; das junge Mädchen, von Grausen erfüllt, fragt ihn unaufhörlich nach der Ursache der Schnelligkeit des Ritts, aber der Reiter beschleunigt die Schritte des Rosses noch durch ein dumpfes und tiefes Geschrei, wobei er mit leiser Stimme ruft:
Hurrah, die Todten reiten schnell!
    worauf Lenore antwortet:

Ach, laß sie ruhn, die Todten!

    So oft sie ihm ihre unruhigen Fragen wiederholt, so oft erfolgt die nämliche unheilschwangre Erwiederung.
    Wie er sich endlich der Kirche naht, wohin er, wie er ihr sagt, sie führt, um sich mit ihr zu vermählen, scheinen Winter und Reif die Natur selbst zu einer traurigen Vorbedeutung umgestaltet zu haben. Priester tragen in Trauerpomp einen Sarg herbei, und ihre schwarzen Gewänder schleppen langsam über den Schnee hin, der wie ein Leichentuch die Erde deckt; die Furcht des jungen Mädchens steigt, und ihr Geliebter sucht sie immer in einem Tone zu beruhigen, in dem sich Ironie und Sorglosigkeit vermischen, und der wahrhaft Schauder-erregend wirkt. Alles, was er sagt, trägt das Gepräge einer einsylbigen Eile, als ob seine Sprache schon nicht mehr die Accente des Lebens an sich trüge; er verspricht ihr, sie in ein stilles kleines Kämmerlein zu führen, wo ihre Hochzeit Statt finden solle. Aus der Ferne erblickt man den Kirchhof, zur Seiten der Kirchpforte; der Reiter berührt diese Pforte mit einer schwanken Gerte, stürzt mit verhängtem Zügel hindurch, über Gräber hin, und verliert nun plötzlich stufenweise das menschliche Ansehen, verwandelt sich in ein Todtengerippe, und die Erde thut sich auf, ihn und sein Liebchen zu verschlingen.
    Ich schmeichle mir gewiß nicht, durch diesen Auszug das außerordentliche Verdienst dieser Romanze dargestellt zu haben: alle Bilder, alle Eindrücke der Schreckenstöne, sind in Bezug auf die Gemüthslage auf eine wunderbare Weise durch die Poesie ausgedrückt: Sylben, Reime, die ganze Kunst mit Worten und mit ihrem Schall zu malen, sind aufgewandt um Schauder zu erregen. Die Schnelligkeit der Hufschläge erscheint feierlicher und dumpfer, als selbst die Langsamkeit eines Trauermarsches. Die Gewalt, womit der Reiter seinen Lauf beschleuniget, dieser Uebermuth des Todes, verursachen eine nicht auszudrückende Angst, und man glaubt sich selbst von dem Phantom ergriffen, wie die Bejammernswürdige, die er mit sich in den Abgrund zieht.
    Es giebt vier Englische Uebersetzungen der Lenore, unter denen unstreitig die beste die des Herrn Robert Spencer ist, der unter allen Englischen Dichtern den wahren Geist der fremden Sprachen am tiefsten kennt. Die Aehnlichkeit des Englischen mit dem Deutschen erlaubt es, in dieser Sprache die Eigenthümlichkeit des Stils und der Versification Bürgers auszudrücken, und man findet in der Uebersetzung nicht nur die Idee des Originals, sondern auch die nämlichen Sinneseindrücke wieder: ein unerlaßliches Erforderniß, um ein Werk der Kunst Ausländern kenntlich zu machen. Es würde schwer seyn. eine gleiche Wirkung im Französischen hervorzubringen, wo nichts was seltsam ist, natürlich scheint.
    Bürger hat noch eine andere Romanze gedichtet, die minder berühmt, aber auch sehr eigenthümlich ist: der wilde Jäger . Im Gefolge seiner Dienerschaft und einer zahlreichen Meute, geht dieser eines Sonntags, in dem Augenblick, wo die Dorfglocken den beginnenden Gottesdienst verkünden, auf die Jagd. Ein Ritter in weißer Rüstung gesellt sich zu ihm, und beschwört ihn, den Tag des Herrn nicht zu entheiligen; ein andrer Ritter, in schwarzer Rüstung, spottet darüber, daß er Vorurtheilen Gehör geben solle, die nur Greisen und Kindern ziemten. Der Jäger horcht den bösen Eingebungen; er zieht fort, und kömmt an das Feldstück einer armen Wittwe: sie wirft sich ihm zu Füßen, um ihn zu bitten, nicht mit seiner Schaar durch das Getreide zu reiten und ihre Ernte zu zerstören. Der weiße Ritter ermahnet die Stimme des Mitleids zu hören, der schwarze Ritter spottet über dies kindische Gefühl: der Jäger nimmt die Rohheit für Kraft, und läßt seine Rosse die Hoffnung der Armen und der Waisen mit den

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