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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Füßen zerstampfen. Endlich rettet sich der verfolgte Hirsch in die Hütte eines alten Einsiedlers, der Jäger will Feuer daran legen, um seine Beute herauszutreiben; der Einsiedler umfaßt seine Knie, er will den Rasenden besänftigen, der sein niedres Dach bedroht; noch zum letzten Male spricht ihm sein guter Geist, unter der Gestalt des weißen Ritters, zu, aber der böse Geist, der schwarze Ritter, behält die Oberhand: der Jäger tödtet den Einsiedler, wird aber augenblicklich in ein Gespenst verwandelt, das die eignen Hunde verschlingen wollen. Ein Volksglaube hat zu dieser Romanze die Veranlassung gegeben. Man will nämlich zu gewissen Jahreszeiten um Mitternacht über dem Walde, wo die Geschichte sich ereignet, einen Jäger sehen, der bis zum Anbruch des Tages von seinen wüthenden Hunden durch die Wolken gehetzt wird.
    Das wahrhaft Schöne in diesem Bürgerschen Gedichte ist das Gemälde des heftigen Willens des Jägers, der erst unschuldig war, wie alle Gemüthskräfte, aber immer tiefer sinkt, so oft er seinem Gewissen Widerstand leistet und seinen Leidenschaften folgt. Zuerst treibt ihn nur der Rausch der Kraft; von da geht er zum Verbrechen über, und nun kann die Erde ihn nicht ferner tragen. Die guten und bösen Triebe im Menschen sind durch die weißen und schwarzen Ritter sehr gut characterisirt, und die immer in gleichen Ausdrücken wiederkehrende Abmahnung des weißen Ritters vortrefflich gefaßt. Die Alten und die Dichter des Mittelalters verstanden sich vollkommen auf das Furchtbare, das, unter gewissen Umständen, die Wiederholung der nämlichen Worte mit sich führt; es ist, als ob dadurch das Gefühl der unbeugsamen Nothwendigkeit erweckt würde. Schatten, Orakel, alle übernatürliche Mächte, müssen eintönig reden; was unwandelbar ist, ist einförmig, und bei gewissen Dichtungen liegt eine große Kunst darin, durch Worte die feierliche Stetigkeit nachzuahmen, wie sie die Einbildungskraft sich in dem Reich der Finsternisse und des Todes mahlt.
    Noch läßt sich von Bürger eine gewisse Vertraulichkeit im Ausdruck bemerken, die der Würde der Poesie keinen Eintrag thut und ihre Wirkung ausgezeichnet vermehrt. Wenn man uns den Schrecken oder die Bewunderung näher bringt, ohne eine  oder die andere zu schwächen, so werden diese Gefühle nothwendigerweise viel stärker; in der Malerei vermischt man auf diese Weise das, was wir täglich sehen, mit dem, was wir nie erblicken, und das, was wir kennen, flößt uns Glauben ein an das, was wir anstaunen.
    Auch Göthe hat sich an einem dieser Gegenstände versucht, die sowohl Kinder als Erwachsene erschrecken; aber er hat tiefe Ansichten hineingelegt, die auf lange Stoff zum Denken geben. Ich will von derjenigen seiner Gespensterdichtungen reden, die am meisten Ruf in Deutschland hat, der Braut von Corinth . Indessen will ich gewiß auf keine Weise die Vertheidigung des Zwecks dieses Gedichtes, noch des Gedichtes selbst, übernehmen, aber es scheint mir schwer, nicht von der Einbildungskraft angeregt zu werden, die es hervorbringen konnte.
    Zwei Freunde, einer aus Athen, der andre aus Corinth, haben beschlossen, Sohn und Tochter mit einander zu vermählen; der Jüngling reiset nach Corinth ab, um seine Braut, die er noch nicht kennt, zu sehen. Die Handlung fällt in die Zeit der ersten Ausbreitung des Christenthums: die Familie des Atheniensers hat ihre alte Religion beibehalten; die des Corinthers den neuen Glauben angenommen, und die Mutter, während einer langwierigen Krankheit, ihre ältere Tochter dem Altar gelobt. Die jüngere Schwester ist bestimmt, jene, die zur Nonne gemacht worden, zu ersetzen.
    Der Jüngling kommt spät im Hause seiner Schwiegereltern an, die ganze Familie schläft, bis auf die Mutter; man bringt ihm Speisen auf sein Zimmer, und läßt ihn allein; kurze Zeit darauf tritt ein seltsamer Gast zu ihm ein: ein junges Mädchen mit weißem Schleier und Gewand, die Stirn mit einem schwarz und goldnen Bande umgeben, schreitet bis in die Mitte des Zimmers vor, und als sie den Jüngling erblickt, fährt sie erschrocken zurück, und ruft, eine weiße Hand zum Himmel hebend:
Bin ich denn so fremd im Hause,
    Daß ich von dem Gaste nichts vernahm?
    Ach, so hält man mich in meiner Klause!

    Sie will fliehen, der Jüngling hält sie auf:
Bleibe schönes Mädchen, ruft der Knabe,
    Rafft von seinem Lager sich geschwind:
    Hier ist Ceres, hier ist Bachus Gabe;
    Und du bringst den Amor, liebes Kind.
    Bist vor Schrecken blaß!
    Liebe, komm

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