Ueber die Liebe und den Hass
hartnäckige und irrationale Widerstand der Mutter gegen die Taufe, die, wie ich bereits zuvor erläutert habe, Frau Richterin, eher aus der Sorge heraus resultiert, alle Kinder innerhalb der Familie gleich zu behandeln, beweist doch geradezu die Intoleranz dieses Glaubens.
Wir alle wissen, wofür der Islam steht, Frau Richterin, natürlich ohne verallgemeinern zu wollen. Doch ist diese Religion auch mit unseren westlichen Normen und unserem Lebensstil zu vereinbaren? Darüber müssen Sie, Frau Richterin, ein Urteil fällen. Doch alles, was ich über diesen Glauben höre, sehe und lese, stimmt mich skeptisch. Ist es auch in Furkans Interesse, der jetzt von einer liebevollen und toleranten Familie aufgenommen wurde, eine islamische Erziehung zu genießen?
Über diese Frage dürfen wir nicht einfach so hinweggehen. Angenommen, die Antwort fällt bejahend aus, wie sehen dann die direkten Konsequenzen aus? Nun, damit würden wir die Familie verpflichten, sich streng an die islamischen Essensvorschriften zu halten. Kein Schweinefleisch, kein kurz angebratenes Fleisch, außer es ist halal . Das geht sehr weit. Meine Mandanten müssten ihre Lebensgewohnheiten komplett ändern. Frau Ozgül will eigentlich nur ihre Gesetze unseren Mandanten aufzwingen.«
Ich habe ihn Furkan genannt, weil er mein Kind ist, doch erst später wurde mir bewusst, dass ich noch mehr tun musste, als ihm nur einen Namen zu geben. Ich musste für ihn sorgen, ihn beschützen, denn er war mein Furkan.
»Doch wie schwierig die Umsetzung von Frau Ozgüls Forderungen auch sein mag, sie ist gar nichts im Vergleich zu dem, was Furkan in Zukunft erwartet, wenn es nur nach Frau Ozgül ginge. Frau Ozgül hat nämlich verkündet, dass sie, falls Sie ihr heute Recht geben, einen Termin für Furkans Beschneidung ausmachen will.
In welchen Zeiten leben wir eigentlich, dass wir einen kleinen wehrlosen Jungen einem Glauben aussetzen, der einen Angriff auf den menschlichen Körper predigt? Vor allem diese Tatsache beunruhigt meine Mandanten außerordentlich. Deshalb bitte ich Sie, Frau Jugendrichterin, gerade diesbezüglich die Interessen des Kindes zu bedenken. Ich danke Ihnen.«
Meine Rechtsanwältin warf einen verdatterten Blick auf ihre Akte und verneinte, als sie gefragt wurde, ob sie dem noch etwas hinzuzufügen habe. Ich sollte etwas sagen.
»Frau Richterin, der Generalvikar hat mir gesagt, es sei gegen den Glauben, bei einem Kind gegen den Willen der Eltern die Taufe durchzuführen. Ich stehe hier als Mutter von Furkan vor Ihnen und sage Ihnen, dass ich eindeutig gegen die Taufe meines Sohnes bin.«
Von ihrem Thron blickte sie auf mich herab. »Vielleicht haben Sie das noch nicht bemerkt, aber wir leben hier in einer Demokratie.« Ihre Stimme klang trotz ihres jungen Gesichts streng und kalt. »Trennung von Kirche und Staat, sagt Ihnen das was?«
Ich konnte an ihrem Blick erkennen, dass sie die Wahrheit für sich gepachtet hatte und keiner daran zweifelte.
»Wo kommen wir denn hin, wenn ich meine Entscheidungen von fatwas oder Dogmen abhängig machte? Ich unterstelle einmal, dass Sie dem Vikar nicht gebeichtet haben, dass Sie eine unverheiratete Mutter sind? Wie hätte sein Ratschlag dann ausgesehen? Denken Sie doch erst einmal darüber nach. Die Debatte ist hiermit beendet.«
Meine Rechtsanwältin sah mich an, als hätte ich ihr ein furchtbares Geheimnis vorenthalten.
»Hattest du das wirklich vor, Melek?«
Ich wusste nicht, worauf sie hinauswollte.
»Das mit der Beschneidung?«
»Er ist ein Muslimjunge, da gehört das nun einmal dazu.«
»Aber dir ist schon klar, dass das hier ein sensibles Thema ist? Es sah bereits nicht gut aus für dich, wegen deiner Vergangenheit und so, und jetzt auch das noch!«
Ja, und jetzt auch das noch. Was war das denn? Das war ich. So, wie ich war und wie ich sein wollte.
Das war Melek Ozgül, die krampfhaft versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, und mit der Kraft der Verzweiflung kämpfte, damit sie sich selbst und ihren Sohn nicht verlor.
Aber ich war schwach, und ich hatte das Pech, in einer Gesellschaft zu leben, in der man die Schwachen aufs Abstellgleis schob, sie mundtot machte, damit andere für sie sprechen mussten, die ihnen ihre Gesinnung, ihr Verständnis darüber, was gut oder schlecht war, aufzwängten und es verteidigten, ohne richtig zuzuhören, worum es eigentlich ging. Sie machten mich schwach und klein, weil ich niemals recht haben konnte, weil ich einen falschen Blick auf die Dinge
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