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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachida Lamrabet
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Anwesenden im Gerichtssaal, darunter auch Leute, die mit der Sache überhaupt nichts zu tun hatten, selbst hören, wie ungerecht und schlecht die Pflegeeltern waren. Ihr voreingenommenes und arrogantes Verhalten konnte man ihnen wirklich nicht durchgehen lassen. Wir befanden uns nun vor einem Richter, und ein Richter ist gerecht. Er muss gerecht sein, denn das ist er mir schuldig, das ist sein Beruf. Für ihn darf es keine verschiedenen Hautfarben geben. Das war Gesetz und das war mein Halt. Dieser blinde Glaube hatte mich dazu gebracht, die Pflegeeltern vor Gericht zu zerren. Diesmal war nicht ich die Angeklagte, und ich war mir sicher, dass man mich diesmal auch anhören würde.
    »Frau Jugendrichterin, wir bitten Sie eindringlich, die andauernden Schikanen von Frau Ozgül hinsichtlich meiner Mandanten zu unterbinden.« Der Rechtsanwalt hatte in meine Richtung geschaut, ohne mich dabei anzusehen. Ich fragte mich, ob er Kinder hatte. Ich fragte mich, ob er wusste, wie ich lebte, wie weit es mit mir gekommen war.
    Das Gesicht der Jugendrichterin zeigte keinerlei Regung, während der Rechtsanwalt fortfuhr.
    »Frau Ozgül hat von Anfang an gewusst, dass ihr Kind von einer christlich geprägten Familie aufgenommen wird. Es geschieht übrigens aus christlicher Nächstenliebe, dass diese Familie sich dazu bereit erklärt hat, Kinder aufzunehmen, die sich in einer schwierigen Situation befinden. Dies hat allerdings auch Konsequenzen. Jedes Kind, das sich über einen kürzeren oder längeren Zeitraum in ihrer Familie aufhält, wird zu einem integralen Teil der Familie. Es wird nicht zwischen den eigenen Kindern und den Pflegekindern unterschieden.
    Somit besteht keinerlei Unterschied zwischen Furkan, Johan oder Klara. Kinder, die alle zu einer Familie zählen. Damit wollen die Pflegeeltern vermeiden, dass sich Furkan später einmal diskriminiert fühlen könnte, wenn er herausfindet, dass seine Pflegeeltern ihn, im Gegensatz zu seinem Pflegebruder und seiner Pflegeschwester, nicht haben taufen lassen. Sie dürfen zudem nicht vergessen, dass Furkan schon als kleines Baby in die Familie kam.«
    Zwei Monate war er, als sie ihn mir wegnahmen. Er kam drei Wochen zu früh auf die Welt und wog noch nicht einmal zwei Kilo. Weil er nicht sofort zu schreien anfing, nahmen sie ihn mir weg. Erst mehrere Stunden nach der Geburt brachten sie ihn mir wieder. Ich traute mich nicht, ihn anzufassen. Er war viel zu klein und hatte eine seltsame Farbe, so hatte ich mir mein Baby nicht vorgestellt. Die Krankenschwester ermunterte mich freundlich, und ganz vorsichtig nahm ich ihn an mich. Er sah so verletzlich aus, und ich musste weinen, weil wir von nun an einander ausgeliefert waren. Deswegen war ich erleichtert, als er noch einen Monat im Krankenhaus bleiben musste. Täglich ging ich zu ihm, um ihn zu füttern und zu versorgen. Es war, als würde ich Mutter spielen. Ich machte alles, doch gleichzeitig fragte ich mich auch, wie es weitergehen sollte, wie ich für ein Kind sorgen sollte. Manchmal, wenn ich spät am Nachmittag das Krankenhaus verließ, hoffte ich, dass er am nächsten Tag nicht mehr da sein würde und ich mir das alles nur eingebildet hatte. Doch er blieb, und eines Tages musste ich ihn mit nach Hause nehmen.
    »Frau Ozgüls Forderung scheint gerechtfertigt zu sein, Frau Richterin, schließlich ist sie die leibliche Mutter des Kindes, doch der Schein trügt. Denn was verbirgt sich hinter ihrer vehementen Verweigerung einer Taufe ihres Sohnes? Ihr Sohn darf als Muslim nicht verloren gehen! Er muss Muslim bleiben, und sie hat die heilige Aufgabe, ihren islamischen Glauben an ihren Sohn weiterzugeben. Sonst ist sie als Muslimamutter gescheitert.«
    Ich war lange der Ansicht gewesen, niemals eine gute Mutter sein zu können. Ich hatte keine Gefühle für meinen Sohn gehabt, während der ersten Wochen, also war ich ein schlechter Mensch. Und das haben sie gegen mich verwendet, als sie ihn mir weggenommen haben. Ich hätte ihn verwahrlosen lassen und in Gefahr gebracht. Aber ich hatte nicht gewusst, was ich tun sollte, ich wusste nicht, was von mir erwartet wurde. Ich lebte in dem Wahn, dass Furkan stark genug sein würde, um mich von den Drogen fernzuhalten. Und als das offenbar nicht so war, nahm ich es ihm übel.
    »Die Frage, die sich nun stellt, ist Folgende: Verbessert sich Furkans Ausgangssituation, wenn wir ihn einer Religion überlassen, die man bezüglich ihrer Liberalität und Toleranz nicht unbedingt rühmen kann? Der

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