Ueber die Liebe und den Hass
sondern Muslimas generell.«
»Das hat doch auch irgendeinen Namen, oder? Bei denen heißt das doch nicht einfach Kopftuch. Ist das nicht ein dschihab oder dschihad ?«
» Hidschab für das Kopftuch, dschihad für den Heiligen Krieg.« Sie hatte vor kurzem einen Artikel über den weltweiten Terrorismus gelesen, in dem diese Ausdrücke mehrmals auftauchten. Neue Begriffe behielt sie immer sehr leicht.
Ihre Freundin zog voller Bewunderung die Augenbrauen hoch und nippte an ihrem Kaffee.
Als sie zu Hause war, ging sie zu ihrem Schrank und holte sich ein Seidentuch heraus. Im Badezimmer legte sie es sich behutsam um den Kopf. Erst so, wie ihre Mutter es früher trug, wenn sie freitags immer zum Sint-Agnes-Internat kam, um sie abzuholen. Ihre Mutter trug nur selten zweimal dasselbe Seidentuch, denn die Frau vom Arzt und die vom Rechtsanwalt trugen auch nie zweimal dasselbe Tuch.
Sie löste den Knoten unterm Kinn. Jetzt versuchte sie es so, wie sie es bei Amal Hayati gesehen hatte, elegant um den Kopf und den Hals drapiert. Doch dafür schien das Tuch zu kurz zu sein.
Sie ging ins Schlafzimmer und zog die Schublade mit den Tüchern nun ganz aus dem Schrank heraus, auf der Suche nach der richtigen Größe.
Mit drei Exemplaren kehrte sie ins Badezimmer zurück. Nach langem Herumexperimentieren war sie schließlich ziemlich nah am Original dran, so wie sie es sich eingeprägt hatte.
Doch das Tuch saß nicht perfekt auf ihrem Kopf und rahmte auch nicht elegant ihr Gesicht ein. Sie wirkte eher wie eine bunte, knollige exotische Blume.
Im Wohnzimmerschrank stand ihr Nähkästchen mit den Stecknadeln, die nun eingesetzt wurden. Nach einer halben Stunde Steckerei, Falten und Glattstreichen war sie mit dem Resultat zufrieden. Im Spiegel erschien zu ihrem Erstaunen eine Muslima.
»Du meine Güte.«
Sie drehte sich noch einmal um die eigene Achse und versuchte sich im Profil zu betrachten.
»Was für ein Anblick!«
Sie lachte und drehte sich vor dem Spiegel weiterhin im Kreis herum. Sie legte beide Hände an den Kopf. »Das ist schon ziemlich seltsam«, murmelte sie. Dann richtete sie sich auf, strich mit den Händen an ihrem Körper entlang und erhob stolz den Kopf. Herausfordernd blickte sie ihr Spiegelbild an.
»Sehen Sie.« Sie versuchte ihrer Stimme einen möglichst weihevollen Klang zu verleihen. »Sie sollten verstehen, dass ich ein Kopftuch trage, weil ich tief, sehr tief gläubig bin. Sie können das nicht verstehen, das sehe ich gleich, doch ich bestehe darauf, dass Sie sich kurz in meine Lage hineinversetzen.« Sie näherte sich dem Spiegel etwas, dann verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Können Sie sich bitte kurz in mich hineinversetzen? Es geht hier schließlich nur um ein Stück Stoff, ist doch schick, oder? Ich bin mir sicher, dass es Ihnen wunderbar stehen wird.« Sie machte eine Vierteldrehung und warf einen auffordernden Blick in den Spiegel. Sie zwinkerte. »Wie hübsch Sie mit diesem Kopftuch aussehen. Darauf muss erst einmal ein köstliches Glas Tee getrunken werden.«
Sie ging in die Küche und setzte Wasser auf. Das Kopftuch umhüllte ihren Kopf und die Ohren, und es schien, als würde sie sich unter Wasser befinden, so gedämpft klang alles.
Die sanfte Seide streichelte ihr über die Wangen und den Hals. Das Gefühl war nicht unangenehm. Das Wasser fing an zu kochen, und bevor der Kessel pfeifen würde, nahm sie ihn vom Herd.
Plötzlich stellte sie den Wasserkessel mit einer schroffen Bewegung wieder ab. Und was wäre, wenn sie so, wie sie war, einfach auf die Straße ginge? Wollte sie nicht erfahren, wie Amal Hayati die Welt sah? Sich ein Kopftuch umzubinden reichte nicht aus, sie musste sich damit auch auf die Straße hinauswagen. Nur so würde es ihr gelingen, mit Amal Hayatis Augen die Welt zu sehen. Sie schnappte sich ihre Handtasche vom Tisch und ging zur Wohnungstür. Ein Gefühl der Beklemmung überfiel sie, als sie ihre Hand auf die Türklinke legte. Ihr wurde heiß. Sie atmete ein paarmal tief durch und fasste sich schließlich ein Herz. Es handelte sich ja nur um ein Experiment, was die Nachbarn dachten, spielte keine Rolle. Mit einem Ruck zog sie die Tür auf und trat auf die Straße.
Außer ihrer Nachbarin, die den Hund ausführte, war niemand zu sehen, und dennoch hatte sie das Gefühl, tausend unsichtbare Augen richteten sich auf sie und seien fest entschlossen, jede einzelne Bewegung von ihr zu registrieren. Die Nachbarin, die sie sonst immer freundlich grüßte, ging
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