Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachida Lamrabet
Vom Netzwerk:
Hand vom Mund und erschien aus der Erstarrung zu erwachen.
    »Ja, natürlich, aber bitte, kommen Sie doch herein.«
    Im Wohnzimmer machten zwei kleine Mädchen ihre Hausaufgaben an einem niedrigen Tisch. Sie schauten nicht auf.
    Wortlos lief Amal weiter durch in die Küche.
    »Die Mädchen machen ihre Aufgaben. Hier können wir ruhig sitzen, ohne sie zu stören.«
    Sie bedeutete ihr, sich auf die Bank am Esstisch zu setzen. Die Wohnung war hell und modern eingerichtet. Überall hingen Zeichnungen und Fotos. Darunter befand sich ein Foto von einem Mädchen in einem roten Kleidchen und einem schelmisch guckenden Jungen, der einen Spielzeuglaster aus Blech hochhielt.
    »Das bin ich an meinem zwölften Geburtstag, aufgenommen in Marokko.«
    Die Dozentin lächelte ihr zu. »Schön. Hier auch. Ich meine, Sie wohnen schön.«
    »Vielen Dank.«
    Amal füllte einen Wasserkessel.
    »Kaffee oder Tee?«, fragte sie, ohne ihre Arbeit vor der Anrichte zu unterbrechen.
    »Nein, vielen Dank.«
    Amal Hayati drehte sich mit dem Wasserkessel in der Hand zu ihr um.
    »Ich wollte sowieso Tee für mich und die Mädchen aufsetzen. Wir müssen ihn doch nicht etwa alleine trinken?«
    »Nein, da haben Sie recht. Das wäre nicht nett von mir. Also dann einen Tee.« Und schnell fügte sie noch hinzu. »Ich meine einen normalen Tee, bitte ohne Zucker.«
    Amal Hayati lachte. »Normalen Tee, ohne Zucker, soso. Ich bezweifle, ob ich so was im Haus habe. Mal schauen.«
    Sie öffnete einen Küchenschrank und inspizierte den Inhalt.
    »Ich könnte Ihnen Lindenblüte, Hagebutte, Pfefferminz oder noch etwas Earl Grey anbieten.«
    Am liebsten hätte sie den angebotenen Tee abgelehnt, doch das würde kindisch wirken, also sagte sie, dass sie gern eine Tasse Earl Grey hätte.
    Amal Hayati setzte sich ihr gegenüber hin, zwischen ihnen standen zwei dampfende Becher mit Tee, einer gezuckert, einer ungezuckert. Sie hatte kastanienbraunes gewelltes Haar, das ihr bis auf die Schultern fiel. Plötzlich beugte sich Amal Hayati vor und musterte sie kritisch.
    »Bitte nicht bewegen, über ihrer Augenbraue schaut eine Stecknadel aus dem Kopftuch hervor.«
    Mit einer flinken Bewegung nahm sie die Stecknadel heraus und sah aber dann, dass das Kopftuch mit Nadeln übersät war.
    »Mein Gott, Sie haben ja überall Stecknadeln! Aber da kann doch ein Unglück passieren!«
    Amal Hayati stand nun auf und stellte sich neben sie.
    »Sagen Sie mal, was hatten Sie eigentlich vor? Soll ich Ihnen helfen, die Nadeln herauszunehmen?«
    »Ja, das ist vielleicht keine schlechte Idee, jetzt bekomme ich es doch mit der Angst zu tun.« Sie kam sich ziemlich albern vor.
    »Es wäre sicher nicht angenehm, wenn Sie sich unfreiwillig ein Augenbrauenpiercing zulegen. Eigentlich ziemlich originell, ein Piercing und ein Kopftuch, und das beides innerhalb eines einzigen Tages.«
    Sie sahen sich an und brachen in Gelächter aus.
    »Nein, stillhalten!«
    Gehorsam blieb sie bewegungslos sitzen.
    »Wie sind Sie nur auf diese Idee gekommen?«
    »Ich habe mir einfach Ihren Vorwurf zu Herzen genommen.«
    »Aber ich kann mich nicht daran erinnern, Ihnen vorgeworfen zu haben, Sie würden kein Kopftuch tragen.«
    »Nein, das nicht. Aber Sie fanden, ich würde mich strikt weigern, mich in Sie hineinzuversetzen, doch das stimmt nicht.«
    »Oh.«
    Vorsichtig nahm Amal Stecknadel für Stecknadel aus dem Kopftuch. »Und, haben Sie nun, da Sie unter lebensgefährlichen Bedingungen mit dem Kopftuch herumlaufen, das Gefühl, mich besser zu verstehen?«
    »Warum wollen Sie nicht gesehen werden? Welchen Vorteil hat es, wenn man unsichtbar ist?«
    Amal Hayati hielt inne. »Wieso unsichtbar?«
    »Frau Hayati, können Sie sich vorstellen, was ich mit diesem Stück Stoff auf dem Kopf alles mitgemacht habe? Ich wurde unsichtbar! Niemand nahm mich wahr. Zunächst war ich empört, doch dann hatte ich das Gefühl, dass noch mehr hinter der Sache steckt. Vielleicht erlangt ihr so, ich meine die Frauen mit einem Kopftuch, ein gewisses Maß an Freiheit. Unsichtbar und frei, geht es euch darum? Ich möchte wirklich gern verstehen, wieso viele Frauen so viel Energie aufbringen, nur um nicht gesehen zu werden? Ist das die einzige Art, wie ihr zum Beispiel auf die Straße gehen könnt? Ist das vielleicht eine Bedingung? Lasst ihr euch unter dem Druck der Männer wegzaubern, als ob es euch nicht geben würde, und könnt ihr euch dann freier bewegen?«
    Amal Hayati unterbrach ihre Arbeit nicht. »Sie haben das Kopftuch viel zu

Weitere Kostenlose Bücher