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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachida Lamrabet
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eine Imagefrage.«
    Sie hatte eine sanfte und angenehme Stimme. Ihr Niederländisch war tadellos. Es passte nur nicht, dass diese Stimme und diese Sprache aus dem Mund einer Frau kamen, die ein Kopftuch trug. Man konnte nur ihr Gesicht sehen. Sie hatte eine helle, fast durchscheinende Haut und wunderbare Augen, hellbraun mit einem grünen Schimmer.
    Mit einer gewissen Bestürzung fiel ihr auf, dass das hellgraue Kopftuch aus einem Stoff genäht war, der keineswegs billig war, und ihre Schönheit unterstrich. Für einen Moment wusste sie nicht mehr, welche Frage sie noch stellen sollte. Eine Stille trat ein.
    »Sie sind hier geboren, aber dennoch haben Sie beschlossen, ein Kopftuch zu tragen?«
    »Das Tragen eines Kopftuches hat nichts mit dem Geburtsort zu tun, sondern etwas mit Glauben.«
    »Und woran glauben Sie?«
    »Ich verstehe Ihre Frage nicht.«
    »Wieso tragen Sie dieses Kopftuch?«
    Die Frau richtete sich auf und hob den Kopf. Sie nahm eine stolze Haltung an und machte keinerlei Anstalten, die Frage zu beantworten, die ihr ziemlich direkt gestellt worden war.
    »Also, Frau Hayati.« Sie versuchte freundlicher zu klingen. »Die Sache ist nämlich Folgende, dass wir in unserem Zentrum für die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen eintreten, und zwar in einem neutralen Rahmen. Somit ist ein Kopftuch in unserer Einrichtung nicht erwünscht. Zudem müssen wir den Blick auch über die Zeit in unserer Einrichtung hinaus richten. Was glauben Sie denn, wie es Ihnen gelingen soll, mit einem Kopftuch eine Arbeit zu finden?«
    »Sie wollen damit also sagen, dass ich die Ausbildung nicht absolvieren kann, weil ich danach sowieso keine Stelle bekomme? Wie können Sie sich denn da so sicher sein? Die einzige Sicherheit, die Sie und ich zurzeit haben, ist doch die, dass meine Chance auf eine Stelle um einiges geringer ausfällt, wenn ich diese Ausbildung nicht absolviere.«
    »Und was machen Sie, wenn ein Arbeitgeber Ihnen eine Stelle anbietet, allerdings unter der Voraussetzung, dass Sie dieses Kopftuch abnehmen?«
    »Ein Arbeitgeber mit derartig trivialen Bedingungen hat seine geeignete Kandidatin offenbar noch nicht gefunden.«
    »Diese Einrichtung betreffend, kann ich Ihnen bereits jetzt mitteilen, dass das Tragen eines Kopftuches keine triviale Angelegenheit darstellt. Sie können an der Ausbildung hier teilnehmen unter der Voraussetzung, dass Sie das Kopftuch während der Zeit ablegen.«
    Die Frau mit dem Kopftuch sah sie an und sagte kein Wort.
    Jammerschade, dachte sie. Diese Frau ist bildhübsch. Sie könnte ein Model sein, doch stattdessen versteckt sie sich hinter einem Kopftuch, um ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu zeigen, anstatt sich als Individuum zu bekennen.
    »Sie sind offenbar nicht einmal selbst in der Lage, mir zu erklären, weshalb Sie unbedingt dieses Kopftuch tragen müssen.«
    Die junge Frau schien einen Moment zu zögern, erwiderte dann aber doch: »Ich bedaure es, aber offenbar wollen Sie nicht einsehen, dass ich einfach nur eine Frau bin, die genau wie Sie auch im Leben weiterkommen will. Sie geben sich keinerlei Mühe, sich in meine Lage hineinzuversetzen.«
    Auf der anderen Seite des Schreibtischs rutschte die Dozentin unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her. Ihr kam die Reaktion der Frau stark überzogen vor.
    Was sollte ihr Gespür für Empathie mit einem Kopftuch zu tun haben, das ganz offensichtlich nicht in diese Einrichtung passte?
    Die Frau mit dem Kopftuch erhob sich langsam. Ihre Handtasche hielt sie mit beiden Händen fest.
    »Ich gehe davon aus, dass ich Ihre begründete Ablehnung noch schriftlich erhalte?«
    »Ja, natürlich.«
    Die Frau mit dem Kopftuch ging zur Tür.
    »Es liegt ganz bei Ihnen, Frau Hayati. Sie sind diejenige, die sich hier entscheiden muss.«
    Als sie wieder allein im Büro war, lehnte sie sich im Schreibtischstuhl zurück und stieß einen Seufzer aus. Das war eine ziemlich vertrackte Situation. Sie haderte mit sich selbst. Jammerschade, dachte sie nochmals.
    Eine einzige Frau mit Kopftuch reichte aus, und alle Frauen würden weiterhin ein Kopftuch tragen. Wie konnte sie dieser Frau nur helfen? Wie konnte sie ihr zeigen, dass ein Kopftuch Unterdrückung bedeutete, eine Geringschätzung der Frau?
    Einem Ideal zu folgen war kein Zuckerschlecken, das wusste sie nur allzu gut. Unweigerlich kam es dabei zu Opfern, sogar innerhalb der Gruppe, für die man seine Ideale erreichen wollte.
    Dieser Vorfall würde sie noch eine Weile beschäftigen, stellte

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