Ueber die Liebe und den Hass
Großmutter kannte sogar eine Witwe, die Jahre nach dem Tod ihres Ehemanns ein Kind zur Welt gebracht hatte. Ein Theologe attestierte ihr, dass es sich um einen ammetis handeln würde. Damit hatte das Kind denselben Stammbaum wie seine Schwestern und Brüder. Und die Witwe wurde damit jeglichen Verdachts enthoben.
Meine arme Mutter wurde gepikst und gewogen. Sie wurde mit Infusionen und Sonden verbunden, damit Kochsalzlösungen und Vitamine über den Weg der blauen und geschwollenen Adern in ihren Körper gelangen konnten. Und auf ihrer Bauchdecke, auf der ein paar Minuten zuvor noch die warme Hand meines Vaters geruht hatte, befestigten behutsame Krankenschwestern mit freundlichen Stimmen Elektroden.
Alles, um mir eine Reaktion zu entlocken.
Gynäkologen aus dem Ausland wurden hinzugezogen, die sich aufgebracht wegen der Untersuchungsergebnisse zankten. Schließlich schlug man ein gewagtes Experiment vor: Sie wollten mich reizen. Das vierköpfige Ärzteteam war sich einig, dass dies der letzte Versuch sei, um eine Änderung des Zustands herbeizuführen. Es durfte keine Zeit verloren werden. Ich hatte bereits vier Wochen Wachstumsrückstand.
Einer der Gynäkologen führte das Wort. »Frau Aboulakal, wir möchten Ihnen mitteilen, dass es sich hier um eine äußerst ungewöhnliche Situation handelt. Eine Diapause gibt es bei Menschen normalerweise nicht. Es handelt sich um ein Symptom, das nur bei gewissen Insekten in Erscheinung tritt und auch nur als Reaktion auf irgendwelche ungünstigen Außenfaktoren. Wir sind uns alle darüber einig, dass der Organismus, damit meine ich natürlich Ihr Baby, nur aus seiner Diapause herausgeholt werden kann, indem wir es sehr speziell, jedoch nicht ungefährlich stimulieren.«
Meine Mutter richtete sich in ihrem Bett auf, sah den vierköpfigen weißen Drachen starr an, bedankte sich für die fürsorgliche Aufmerksamkeit und bat darum, eine Schwester zu holen, die sie von den tropfenden Infusionen und ratternden Maschinen befreien sollte.
Als meine Mutter so weit war, dass sie sich angezogen hatte, war auch mein Vater im Zimmer und trug ihr das Köfferchen hinaus, das Geschwader der Ärzte im Schlepptau, das sichtlich erregt, aber sprachlos war. Zutiefst darüber empört, dass ihre so außergewöhnliche Patientin einfach verschwand.
Mein Vater hatte versucht, trotz der Umstände eine möglichst angenehme Heimkehr vorzubereiten. Die Wohnung war schön aufgeräumt, und dem knappen Kommentar meiner Mutter zu entnehmen, hatte er sogar für einen Blumenstrauß auf dem Küchentisch gesorgt. Das Mahagonikästchen war von diesem Platz verbannt.
Den Tee, den er ihr bereitete, rührte sie nicht an.
Er wollte sie in die Arme nehmen, doch sie hielt ihn mit einer sanften, aber bestimmten Handbewegung zurück.
»Ich lege mich noch ein wenig hin.«
»Rufst du mich, wenn du mich brauchst?« Immer noch versuchte er sie davon zu überzeugen, dass er für sie da war.
Mit Kleidung und Schuhen kroch meine Mutter ins Bett. Später am Abend schaute mein Vater bei ihr rein.
Sie gab keine Antwort, als er sie fragte, ob sie etwas brauche.
Als er die Tür hinter sich schloss, drehte meine Mutter sich auf den Rücken. Sie legte beide Hände auf ihren Bauch, und ihre rechte Hand umschloss meinen Hinterkopf.
»Warum willst du nicht wachsen?«
Ich hörte aufmerksam zu.
Sanft streichelte sie mir über den Kopf, und ich hatte Lust, mich mit dem Köpfchen wie eine Katze in ihre Hand zu schmiegen.
»Bist du denn nicht neugierig, wie es hier draußen so ist? Willst du nicht laufen lernen, Fußball spielen und Rad fahren?«
Fußball, ja, das sagte mir etwas. Ich wusste, dass mein Vater hoffte, ich würde einmal das wahr machen, was er wegen seines kaputten Knies nie hatte erreichen können.
»Letztens habe ich ein ganz tolles Fahrrädchen gesehen. Ich musste mich sehr zurückhalten, damit ich es nicht gleich kaufte, aber du wirst erst mit drei oder so darauf fahren können. Papa wird dir mit großer Begeisterung das Radfahren beibringen. Er kann so was ziemlich gut, weißt du? Im vergangenen Sommer hat er noch einer Cousine von dir geholfen und ihr die Angst genommen. Sie war mehrmals gefallen und traute sich nicht mehr aufs Rad. Ihr Vater war sehr ungeduldig mit ihr und fand ihr Verhalten albern. Und dann hat dein Vater sich um sie gekümmert, und im Nu konnte sie wunderbar Rad fahren. Er kann sehr gut mit Kindern umgehen.«
Sie schwieg eine Weile.
»Er zerbricht daran.«
Sie sagte es so leise,
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