Ueber die Liebe und den Hass
dass ich es fast nicht verstand. Als würde sie es nur denken. Vielleicht wollte sie nicht, dass ich es hörte. Vielleicht wollte sie mir keine Schuldgefühle bereiten.
Ich versuchte mein Unbehagen herunterzuschlucken.
Sie hielt kurz den Atem an und verstärkte den Griff um ihren Bauch.
Sie hatte etwas gespürt.
Mercedes 207 (mitien ou sebha)
Er hatte eine Riesenlust, ihn richtig anzuschnauzen, aber er riss sich zusammen. Das war doch wirklich nicht zu fassen. Und es passierte ihm immer wieder. Jedes Mal nahm er die falsche Abzweigung, und jedes Mal brauchte er mindestens eine Stunde, bis er wieder aus dieser verdammten Stadt hinausfand. Kurz vor Madrid hatte er ihm noch eingebläut, immer auf der NIV zu bleiben und sich ja nicht von der Abzweigung nach San Sebastián de los Reyes verwirren zu lassen, einer Gemeinde der Stadt Madrid. Denn das war nicht das San Sebastián im hohen Norden Spaniens, an der Grenze zu Frankreich, die letzte Stadt, bevor sie dann ihrem Ziel ein Land näher rückten. Was für ein Typ!
Er zündete sich eine Zigarette an. Die lenkte ihn wenigstens ab, während Boulif seinen riesigen Mercedes in dem wahnsinnigen Stadtverkehr von Madrid festfuhr. Passanten sahen sie an, als würden sie ein großes, seltsames, weißes Ungetüm auf vier Rädern erblicken, das sich ganz offensichtlich nicht in seinem Biotop befand und daher ruckelnd und zögernd zwischen der rechten und linken Spur hin und her sprang. Abrupt hielt Boulif vor einer roten Ampel an. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Diese viereckigen Kisten hatten zwar ein ziemlich großes Fassungsvermögen, leider aber keine Servolenkung.
»H’med, kannst du die Fußgänger mal nach dem richtigen Weg fragen?«
Es klang ziemlich entmutigt.
»Fahr einfach geradeaus, wir werden den richtigen Weg schon noch finden«, antwortete H’med verärgert.
Die Fußgänger nach dem Weg fragen. In welcher Sprache denn bitte schön? Vielleicht auf Andalusisch-Arabisch?, dachte er wütend, als er die Fensterscheibe an seiner Wagenseite herunterkurbelte.
Boulif drängte ihn. »Los, Mann, jetzt frag doch mal nach dem Weg, sonst finden wir hier nie wieder heraus. Du kannst doch ein bisschen Spanisch?«
»Mein Spanisch ist schlechter als deins, damit kommen wir keinen Schritt weiter. Wir müssen wieder zurück auf den Ring. Pass doch auf, du Idiot, wir haben Rot!«
Mit einem Ruck kam der voll beladene Koloss zum Stehen. Durch die riesige Windschutzscheibe beobachteten die beiden Männer nun schweigend, wie sich ein Menschenstrom von rechts und von links über die Straße in Bewegung setzte. Es ähnelte einem Dokumentarfilm, den sie sich in einem Breitbildfernseher anschauten. Auf der Höhe des Mercedes machte der Menschenstrom, ohne zu murren, einen geschmeidigen Bogen um die Motorhaube herum, die einen halben Meter über den Zebrastreifen hinausragte.
Boulif stieß einen Seufzer aus und kurbelte ebenfalls seine Scheibe hinunter. »Mir war noch nie so ganz klar, warum die Spanier Ampeln haben, und wohin strömt diese Menschenmasse eigentlich ununterbrochen? Ziemlich viele Leute, oder?«
H’med starrte vor sich hin in den Zigarettenrauch.
Ohne eine Antwort abzuwarten, hielt Boulif den Kopf aus dem Fenster. »Perdón, señor, señor!« , ging er die Leute an.
Ein Mann mittleren Alters löste sich aus der Menschenmenge und blieb stehen. »Dónde está la autopista a San Sebastián? Al norte?« Der Mann schien kurz zu überlegen und setzte dann zu einer ausführlichen Wegbeschreibung an. Um den Schein zu wahren, sagte Boulif ein paarmal »Sí, sí« , und als der Mann seine Beschreibung beendet hatte, bedankte Boulif sich bei ihm mit einem freundlichen »Gracias!« . Frustriert ließ er sich wieder hinter das riesige Lenkrad zurückfallen, richtete den Blick nach vorn und setzte das Gefährt in Bewegung. Er versuchte die Beschreibungen des Mannes zu entschlüsseln.
»Anfangs hat er doch was von einem Kreisverkehr erzählt, oder?«
H’med stieß den Rauch vor sich aus.
»Ich bin mir echt sicher, dass er was von einem Kreisverkehr erzählt hat, und danach dann links … oder war es rechts?«
»Ich bin jedenfalls auf dem richtigen Weg. Er meinte doch diese Richtung?«
H’med gab noch immer keine Antwort. Er kannte das Szenario bereits auswendig, weil es sich drei- oder viermal im Jahr wiederholte. Ende des Liedes war immer, dass Boulif schließlich ein Taxi anhielt, das ihn gegen Bezahlung aus der Stadt hinauslotste. Dem schloss sich jedes Mal ein
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