Ueber die Verhaeltnisse
den Kopf auf. Die fordern einen Giganten und wissen selber nicht, woher einen nehmen. Und der Chef, heißt es, kommt aus dem Urlaub zurück. Darum hat sie ihn also schon seit Tagen nicht gesehen. Das heißt, mit Telefonieren geht wohl nichts mehr. Da ist ihnen schön was auf den Kopf gefallen, ihren beiden Glücksrittern. Das haben sie sich wohl nicht träumen lassen.
Mela hat natürlich auch keinen Durchblick, was den Hochwald der magischen Zahlen angeht, sie weiß nur eins, mit dem SPANFERKEL dürfte ihr das nicht passieren, nämlich, daß der Ober ihren Umsatz in der Lotterie verspielt. Mein Gott, sagt sie laut, glauben die beiden wirklich, sie können noch was gutmachen? Was immer sie entscheiden, es geht in die Milliarden, soviel kann ein Mensch doch gar nicht recht haben, daß er das einbringt. Und schon fallen die Stichworte System, Struktur und Prozeß. Und daß man nicht hinter jeden Kontrolleur einen Kontrolleur stellen kann. Aber von nun an … Ja, was denn von nun an? Glaubt er denn tatsächlich, daß von nun an alles gut wird? Was soll denn noch gut werden? Der Sack hat ein Loch, und was fort ist, ist fort. Fragt sich nur noch, wie man den Schaden am schmerzlosesten verteilt. Ihn begrenzen will er, ja, aber läßt er sich denn? Das kann er doch nicht einmal ihr erzählen, und sie glaubt ihm allerhand. Sogar sie weiß, wie ein großes Geschäft gespielt wird, alle wissen das. Solange das Hasard funktioniert, redet keiner von den Usancen. Nur wenn was schiefgeht, heißt es plötzlich Vorschrift, Weisung, Gesetz.
Mela glaubt keinem mehr die Empörung, höchstens das Beleidigtsein, wenn er drauf kommt, daß ihm da etwas um eineNummer zu groß ist. Unfähigkeit ist also nicht einmal ein Kavaliersdelikt, sondern die Boshaftigkeit der anderen.
Mein Gott, sagt Mela noch einmal laut, daß ihr junger Mann das nötig hat, sie aus dem Fernsehen anzuschauen wie ein überrumpelter Drachentöter, der, auf die Länge des Ungetüms nicht gefaßt, gegen den Kopf losrennt und mit dem Schwanz eins draufkriegt.
Aber schon gehen die Berichte auf die Welt über. Frô ist nach Hause gekommen, und Mela dreht den Fernseher ab.
»Hast du ihn gesehen?« Frô setzt sich zu ihr. Es muß sie stutzig gemacht haben, Mela um diese Zeit in der Wohnung vorzufinden.
Mela seufzt.
»Beschissen, was?«
Mela ist irritiert. »Er hilft sich, so gut er kann.«
»Ich meine das Ganze.« Frô hebt die Hand und kehrt die Fläche nach oben. Daß Frô überhaupt etwas sagt?! Das Mädchen hat neuerdings einen Silberblick. Mela vergewissert sich noch einmal, registriert das Glitzern. Und der Mund – als hätte einer dran genagt. Das kann kein Lippenstift überfärbeln. Die Haare hochgesteckt, aber so liederlich, daß ein einziger scharfer Ruck sie auf die Schultern fallen lassen kann. Was ist denn da passiert? Und wenn was passiert ist, wo, was und mit wem? Sie fängt sich ihr Kind mit der Hand ein, rollt es in ihren Arm und im An-sich-Drücken schnüffelt sie gekonnt beiläufig. Das riecht nach Unbekannt. Schon ist der junge Mann mitsamt seinem Staatshaushalt vergessen.
»Bei wem warst du?« Gerade daß es Mela noch gelingt, den Satz zu vernuscheln.
»Was sagst du?« Frôs Stimme, ein wenig gequetscht, erhebt sich träge aus der Umarmung.
»Schon gut«, Mela hat die selbstgesteckten Grenzen bereits wieder im Auge. »Du bist viel um die Wege, neuerdings.« Frô dreht das Gesicht in den mütterlichen Nacken.
»Mir kommt alles fremd vor«, sagt sie, »so fremd.« Und da muß Mela aus alter Erfahrung plötzlich lachen.
Borisch hat die Stadt nicht wiedererkannt, nur den Bahnhof. Sie sprach mit gewollt deutschem Akzent, als sie der Taxi-Fahrerin den Namen des Hotels nannte, aber die hat sich nicht täuschen lassen. Es war schon dunkel, und sie fuhr langsam, wie zu fleiß, damit all die Lichter Borisch ins Gesicht scheinen sollten. Das ganze Neonzeug an den Fassaden, wie das prunkte. Alles Kosmetik, sagte sie sich, und unter dem Glanzbelag vegetieren die alten Häuserruinen.
»Seit wann sind Sie draußen?« fragte die Fahrerin, ohne mit der Stimme hinaufzugehen. Eigentlich wollte sie nicht antworten. Und wenn sie noch einmal fragen sollte, würde sie einfach aussteigen. Aber die Fahrerin schaute stumm auf die Straße.
»Seit dreißig Jahren«, antwortete Borisch kleinlaut. Die Fahrerin nickte.
»Aus meiner Familie sind auch welche draußen. Die kommen aber öfter.« Sie hatte ihr also auch das angesehen, daß sie zum ersten Mal
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