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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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nämlich daß Borisch darunter gewesen hätte sein können, in Trainingsanzug und Pullmanmütze.
    So gesehen fallen die paar Jahre Altersunterschied ganz anders ins Gewicht. Borisch, die ihr Leben zu diesem Zeitpunkt radikal und von sich aus bestimmt hat, sich alle möglichen Folgen zumindest vor Augen führend, während Mela sich noch über den freiwilligen Küchendienst das Geld für einen James-Dean-Film errobotete.
    Mela spürt selten Lust, die Orte ihrer Kindheit wiederzusehen. Die Brüder verursachen ihr geradezu Sodbrennen mit ihrem nicht zu kalmierenden Erbanspruch. Die Kleinstadt hat sich zwar verändert, aber nicht so sehr, daß sie ihr milder begegnen könnte. Vor einigen Jahren war sie mit Frô einmal hingefahren und hatte ihr das Haus der Großeltern gezeigt. Die Brüder aber hatten nichts Besseres zu tun gehabt, als herumzurätseln, wem von den Vorfahren, die man kenne – unterdrücktes,aber doch als hämisch zu erkennendes Lächeln –, sie außer ihrer Mutter noch ähnlich sehe. Frô hatte bereitwillig alle Fragen beantwortet, auch die der durchtriebenen Schwägerinnen, die vor so viel Unbedarftheit dann doch die Waffen streckten. Der ältere der Brüder hatte sich sogar überwunden und ein Medaillon zum Vorschein gebracht – zum Andenken an deine richtige Großmutter –, wie er Frô erklärte, als sei die andere, nicht genannte, naturgemäß falsch.
    Nicht einmal Frô hatte sich wohl gefühlt in dem weitläufigen Haus, das, wie Mela sich zu denken nicht enthalten konnte, nur so vor Geschmacklosigkeiten strotzte. Sie hatte versucht, sich zu erinnern, ob das zur Zeit ihrer Eltern auch schon so gewesen war, aber die Erinnerung spielte nicht mit. Nur die Fleckerlteppiche triumphierten über die Generationen, ob erneuert oder nicht, die hatte es auch schon in Melas Kindheit gegeben.
    Das Haus der Tante war verkauft und inzwischen umgebaut. Sie stiegen nicht einmal aus, als sie vorbeikamen. Mela kurbelte nur das Fenster herunter, als sie es Frô zeigte. »Da«, sagte sie, »habe ich einige Jahre lang gewohnt.« Und das einzige, was Frô wissen wollte, war: »Ist die Tante wirklich so streng gewesen?«
    »Warum sagst du nichts?« Borisch läßt für einen Augenblick von Mela und baut sich auf der Stirnseite auf. Die Antwort wartet sie jedoch nicht ab. »Du kannst mich gern für verrückt halten, aber ich muß es wirklich wissen.«
    »Was?« Mela macht erst jetzt die Augen wieder auf.
    Borisch seufzt. »Und wenn ich bis morgen früh auf dich einrede, begreifst du es nicht. Hörst du, ich rede Deutsch mit dir!«
    Mela greift nach Borischs Arm. »Spätestens nachdem duzurückgekommen bist, wirst du es mir so erklären, daß es in meinen Provinzschädel geht.«
    Borisch seufzt noch einmal und entläßt dann einen mittellangen, beinah melodisch klingenden, altmagyarischen Fluch, dem Mela geraume Zeit nachlauscht.

    Der junge Mann soll während der Abendnachrichten länger im Fernsehen zu sehen sein. Die Vorabendkunden, die das Mittagsjournal gehört haben, unterhalten sich darüber. »Und das Gesicht, das er erst dazu machen wird!« Der Text ist also schon bekannt, es geht nur mehr um die vollbildliche Darstellung.
    Um halb acht beeilt Mela sich hinauf in die Wohnung – der Dezember ist ohnehin ein schwacher Monat – und kommt gerade noch zurecht zur Antwort, die Frage ist schon gestellt worden. Gleich zu Beginn – es ist also die Hauptnachricht.
    Schirmfüllend hat sie es nun vor sich, das Gesicht, das ihr schon soviel näher war, aber so groß hat sie es noch nie gesehen. Dieser Mund!
    Nur sie, hat sie gedacht, würde ihn so sehen können, aber die Kamera kann das auch. Und das Zucken in den Winkeln erleben jetzt Millionen. Er sei belogen worden, sagt er, und man habe seine Weisung nicht befolgt.
    Was hat er auch Weisungen zu geben, flitzt es als Nebengedanke durch Melas Kopf. Gleichzeitig schließen sich ihre Finger um die Daumen, als ob das noch helfen könnte, wo das Interview doch nicht live, sondern Konserve ist. Der Frager liest ihm vor, was ein anderer über ihn gesagt hat. Er lächelt müde. Der Chef habe ihn betraut, und er würde gehen, wenn der Chef es wolle. Klarerweise wird er nicht. So, wie das alles von langer Hand zusammengekracht ist, brauchte es ein Genie, um aus den Trümmern Gewinn zu schöpfen. Aber fallssich in dieser Reuse je ein Genie gefangen haben sollte, haben sie es längst verscheucht. Wer kann schon ein Genie in einer Mannschaft brauchen? Na eben. Mela stützt bestätigend

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