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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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der Privatheit, kaum gezähmt durch den alljährlichen Vollzug und ohne Rücksicht auf Frôs schleichendes Erwachsenwerden.
    Das SPANFERKEL bleibt geschlossen, und alles vom Schwein ruht darin. Roastbeef tischt Mela auf, später Kaviar und dazwischen Süßes. Genießerisch nippen beide am Champagner, seit Frô das trinkfähige Alter erreicht hat. Und die Geschenke werden versteckt – im Gegensatz dazu haben sie aus Ostern nie einen Kult gemacht. Da wurde Frô höchstens aufs Land geschickt, und das SPANFERKEL blieb offen. Seit sie zwölf ist, putzt Frô den Baum, und Mela darf bis zum Abend nicht mehr ins Wohnzimmer. Nicht so sehr festlich herausstaffiert als schlichtweg schöngemacht, treten sie sich an diesem Abend gegenüber – auch das ein Teil der Überraschung, die sie einander durchs Jahr hin aufsparen. Es ist alle Feste in einem.
    Das gemeinsame Essen, das Auspacken der Geschenke, Musik – gleichsam die Erneuerung eines Bundes, der jährliche Handschlag darauf, daß eine Trennung im Grund nicht vorgesehen ist. Dieser Tag versichert sie einander auf eine in Kerzenlicht und Honig getunkte Art. Und Mela bedauert insgeheim jene Maria, deren Sohn die Frechheit besaß zu sagen: »Weib, was hab ich mit dir zu schaffen?«
    Mela erkennt sich in Frô als eine andere Möglichkeit, die mitzuleben ihr gestattet ist, und all die Geheimnisse dieser ihrer zweiten Manifestation erfüllen sie mit einer wohltuenden Neugier, einem sanften, aber beharrlichen Wissenwollen, dem sie selbst die Grenzen steckt, als müsse das alles noch lange vorhalten. Frôs In-sich-geschlossen-Sein, ihr stilles Verzögern ermöglichen Mela eine innere Ausdehnung mit blinden Flecken, so als sei sie sich selber noch immer rätselhaft und all ihre Erfahrung mit sich und der Welt wäre nur die Kehrseite jener noch immer in ihr verborgenen Unschuld, die ihr der Umweg über Frô aufs neue spürbar werden läßt.
    Frô jedoch unterliegt alle Jahre wieder dem Bann dieserNacht, in der man, wie Mela behauptet, keine Wäsche hängen lassen darf und, wenn man Glück hat, die Tiere sprechen hören kann.
    Alles scheint so wie sonst, die natürlichen Farbvarianten bei Kleiderstoff und Christbaumkerzen eingerechnet. Oder nicht? Genaugenommen ist es das einundzwanzigste gemeinsame Herzerwärm-Fest. Dreimal sieben. Die Magie der Zahlen drängt sich nur dem Wissenden auf. Mela in schlichter, cognacfarbener Eleganz, die dem nackten Hals ein wenig schmeichelt, und Frô zum ersten Mal in Schwarz, mit dem Medaillon der Großmutter und mit von glitzernden Kämmen gebändigtem Haarschwall. Die übliche Umarmung ob der gegenseitig mit Wohlwollen registrierten Erscheinung. Die immer gleichen herzlichen Wunschformeln, einander ins Ohr gesprochen und in herzliche Wangenküsse verpackt, wobei man auch den jeweiligen Geschmack in Sachen Parfum erschnuppert.
    Aber schon der nächste Schritt weicht diesmal ab. Die Tanne fängt Feuer an einem entzündeten Strohstern, und Mela löscht mit einem nassen Ausreibfetzen, was die schimmernde Pracht rasch ins Unansehnliche verkehrt. Bescherung? Mela lacht. Also doch. Aber man wird es sich nicht verdrießen lassen.
    Gedämpfter Jubel nach den ersten Fundstücken. Ein Stich für Mela, die alte Ansicht des Hauses, in dem jetzt das SPANFERKEL untergebracht ist. Bücher und Bijouterie, die erwünschte kleine Schreibmaschine, Frô streichelt die Tasten und redet von einer Seminararbeit in Frühgeschichte. Sie ist es zufrieden, aber Mela sagt noch immer: »Such!« Als Frô auf den Vitrinensims greift, schmeißt sie die dort – als auf dem sichersten Platz – abgestellte Jugendstilvase herunter, daß die verbliebenen Glaskugeln am Baum nur so zittern.
    »Bringt Glück«, entschließt Mela sich später zu sagen, als sie den Schaden als irreparabel erkannt hat. »Such weiter!« Unterdessen entdeckt Mela, daß Frô eins ihrer mit der Hand ausgewaschenen Höschen auf der Leine über der Badewanne vergessen hat. Aha! Und noch feucht, wie es ist, verschwindet es in der Wäschetruhe.
    »Kalt«, sagt sie, als sie Frô unters Sofa tasten sieht. Frô ist ratlos. »Schau dich in den Spiegel!« Mela wächst um ein paar Zentimeter, und Frô erstarrt. Sie trägt ja die Perlen bereits über dem hochgeschlossenen Kleid. Eine solche Überraschung ist Mela noch nie geglückt. Den erwarteten Jubelschrei schon auf den eigenen Lippen fühlend, öffnet sie selbst ein wenig den Mund. Sie hat während der weihnachtlichen Umarmung Frô die Kette heimlich umgehängt.

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