Ueber die Verhaeltnisse
vielleicht nicht?« kontert zufrieden der den Weltuntergang Erwartende.
Das Gespräch verbrutzelt an den aufgetragenen Blutwürsten, deren knusprige Haut sich einladend krustet und auf den Einstich wartet. Mit Messer und Gabel werden die vorhandenen Aggressionen abgeführt. Die Befriedigung durch Einverleibungnimmt ihren gesicherten Verlauf, oft geübt und – wenn geschmacklich nicht enttäuschend – immer mit demselben Lustgewinn.
Von der Theke aus hält Mela das Revier unter Kontrolle, mit besonderem Augenmerk auf die Platzhirsche. Den einen oder anderen würde sie schon zum Abschuß freigeben, wenn sie Jäger wäre. Aber das fehlte ihr gerade noch. Ihr genügt, daß sie ein Geweih auch auf größere Distanz erkennt. An welchem Baum sich der eine oder andere dann reibt, um es loszuwerden, interessiert sie nicht sonderlich.
Das Lachen des Chefs verfolgt sie neuerdings, ausgerechnet jetzt, wo er nichts zu lachen hat. Sie halluziniert es geradezu, als käme er ständig zur Tür herein, dabei hat sie ihn seit Tagen kaum gesehen. Er mistet sein Kabinett aus, bestellt neue Leute, lauter Halbgötter, die er sich von überallher zusammenfängt – sein Glaube an die neuen Besen. Die Regierungsbank biegt sich unter all den Halbwahrheiten und Notlügen, mit denen Mauer gemacht wird gegen eine Opposition, die selbst zum Übersteigen einer kindshohen Garteneinfassung eine Malerleiter braucht. Und gelegentlich wünscht sich sogar Mela, daß sie was zu reden hätte.
Borisch hat beschlossen, für drei Tage nach Ungarn zu fahren.
»Vor fast dreißig Jahren bin ich als Flüchtling in dieses Land gekommen, seit zwanzig Jahren habe ich die Staatsbürgerschaft. Ich bin mit einem Polen verheiratet und habe österreichische Kinder.
Alle anderen, die damals mit mir gekommen sind, waren inzwischen auf Besuch, nur ich nicht. Ich kann mich doch nicht geirrt haben. Da fahren die Leute schon nach Ungarn, um sich die Zähne richten oder für sich nähen zu lassen. VomBauboom ist die Rede und von freier Schattenwirtschaft oder wie das heißt. Im Fernsehen erkenne ich die Stadt nicht mehr. Beim kleinen Grenzverkehr werden Tausende von verarbeiteten Schweinen verschoben, und in Budapest soll die Statue der Königin Elisabeth – für mich bleibt sie die Königin – wieder aufgestellt werden. Immer glaube ich, ich höre nicht recht. Bei allem, was hier passiert, weiß ich schon nicht mehr, wer wen womit angesteckt hat.«
Mela ist dermaßen überrascht, daß sie mit dem Unterkleid in der Hand stehenbleibt, anstatt sich hinzulegen.
Borisch fascht zerstreut ihren Unterarm und geht auf den Massagetisch zu, da erst bemerkt sie die perplexe Mela-Säule. »Schau nicht so blöd«, sagt sie und nimmt ihr das Unterkleid aus der Hand. »Du siehst einen hin und her geworfenen Menschen vor dir, eine total gerissene Person.«
Irritiert legt Mela sich zuerst auf den Rücken, anstatt auf den Bauch. Sachlich klatscht Borisch ihr auf die Schenkel. »Umdrehen.« Der Tisch kracht unter Melas Wälzung. »Es ist, wie wenn ein Erwachsener die Masern kriegt. Ausgesprochen unangenehm, ja geradezu gefährlich.«
»Kommt Edvard mit?« Mela scheint endlich zu begreifen.
»Ich fahre allein. Ohne Mann, ohne Kind, nur mit dem, was ich auf dem Leib trage. So wie ich gegangen bin.«
»Keine Wäsche zum Wechseln? Keine Blusen?«
»Lenk nicht ab. Natürlich nehme ich eine Reisetasche mit. Aber für drei Tage brauche ich keinen Koffer.«
»Keine Geschenke? Du hast doch Verwandte?«
»Niemanden mehr, mit dem ich Verbindung hätte.«
»Und was sagt Edvard?«
»Was soll er sagen? Ich fahre schließlich nicht nach Polen.«
»Seit wann hast du dich so verändert, Borisch?«
»Nicht ich habe mich verändert, sondern dieses Land. Ich will wissen, ob ich es richtig gemacht habe.«
»Du kommst doch wieder?« Vor Schreck hat Mela sich aufgesetzt.
»Was denn sonst?!« Borisch schnaubt. »Aber ich will wissen, was hier gespielt wird, im Vergleich zu drüben.«
Vor dreißig Jahren ist Mela ein Teenager gewesen, der von der Nährtante in Empfang genommen wurde. Behaftet mit den Merkmalen der ihr noch immer verhaßten fünfziger Jahre. Der erste vom Taschengeld gekaufte Petticoat und die zum Geburtstag ertrotzten Röhrlschuhe, vom Volksmund als Salatstecher abgestempelt. Sie kann sich noch an die paar schulfreien Tage erinnern, während derer die Flüchtlinge behelfsmäßig im Schulgebäude untergebracht worden waren. Eine Möglichkeit, an die sie nie gedacht hat,
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