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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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geblieben.
    Auf der Straße bot Ayhan ihr seinen Arm, und sie schlüpfte mit dem ihren durch seinen Ärmel, beinah ohne ihn zu berühren.
    »Wie möchtest du essen?« Er sah sie von der Seite an, ohne den Schritt zu verlangsamen. »Französisch, italienisch, chinesisch?«
    »Orientalisch«, antwortete Frô, wie ein Kind, das im Wurstlprater gefragt wird, ob es Hochschaubahn, Kettenprater oder Autodrom fahren möchte, und das ungerührt antwortet: mit der Grottenbahn.
    »Also gut, dann ins Gülhane. Warst du schon einmal dort?« Sie schüttelte den Kopf, und er drückte leicht gegen ihren Arm.
    Der Geschäftsführer schien Ayhan zu kennen. Kaum saßen sie in einer kleinen Nische, als er durchs Lokal kam, um die Honneurs zu machen. Als er Ayhan bemerkte, redete er ihn in einer fremden Sprache an. Ein paar Sätze gingen hin und her, wobei beide sich mehrmals andeutungsweise verneigten, dann verbeugte sich der Geschäftsführer auch noch vor ihr und ging selber die Speisekarte holen.
    »Soll ich für dich bestellen?« Der Geschäftsführer, vielleicht war es auch der Besitzer, stand wieder neben Ayhan und fuhr mit dem Finger in der Speisekarte auf und ab. Ayhan schien noch zu überlegen, aber nach und nach einigten sie sich. »Wein?« fragte er sie. Sie nickte. »Roten oder weißen?«
    »Welcher besser dazu paßt«, antwortete sie beinah hochmütig.
    Wieder gab es ein längeres Palaver, dann verbeugte sich der Geschäftsführer noch einmal und nahm die Speisekarte mit. »Ich habe alles mögliche bestellt, zum Kennenlernen«, sagte Ayhan, ihr wieder ganz zugewandt.
    Als Ayhan sein Weinglas zum ersten Schluck hob, fiel ihr auf, daß er um den Arm ein Kettchen mit einem breiten Mittelstück trug, auf dem etwas eingraviert stand. Sie hätte gerne danach gegriffen, um es sich genauer anzusehen, fürchtete aber, daß er vor ihren kalten Fingern zurückschrecken könnte.
    Der Kellner brachte eine silberne Platte mit allerlei Vorspeisen, und Ayhan erklärte ihr, woraus sie gemacht waren. »Spuck den Kern ruhig auf den Teller«, sagte er, als er sie unschlüssig an einer schwarzen Olive kauen sah. Langsam gewöhnte sich ihre Zunge an den fremden Geschmack, den sie genauso ernst nahm wie alles, was Ayhan zu sich und seiner Person sagte.
    Auch roch es hier anders als im SPANFERKEL. Geschnitzte Holzgitter trennten die Nischen voneinander ab, und an den Sitzbänken lagen seidig glänzende Kissen, die in den Farben verschillerten, wenn das Licht direkt auf sie fiel.
    Das Gespräch drohte von der Fülle der Speisen, die nun, auf lauter kleinen Tellern angerichtet, kamen, erdrückt zu werden. Immer wieder war da eine Besonderheit, vom Kellner als solche angepriesen, und von weit her nickte der Geschäftsführer ihnen strahlend und aufmunternd zu.
    »Erzähl von dem Land.« Sie hatte es endlich fertiggebracht, Ayhan zu duzen. Er mußte an die zwanzig Jahre älter sein als sie, aber das war es nicht, was sie bisher gehindert hatte, ihn von so nah anzusprechen.
    Ayhan beugte sich zu ihr, und jetzt konnte sie auch das ohne Verwirrung ertragen.
    »Es war einmal, es war keinmal, ich erzähle dir ein Märchen. Zwei Katzen galoppierten, der Frosch bekam Flügel und ging, sich eine Braut zu holen. Die Braut kam in die Laube, und plumps! fiel sie ins Wasserglas. Ein Märchen, beim Erzählen kommt der Genuß.«
    Eine neue Schüssel wurde aufgetragen. Frô fand es seltsam, daß sie überhaupt essen konnte, wo ihr doch die Entschlossenheit die Knie zusammenpreßte. »Und weiter?« fragte sie und mußte lächeln, da Ayhan mit den Augen rollte.
    »Im Märchen vergeht die Zeit schnell. Wenn es möglich wäre, hätte sie ihn in einem Löffel Wasser ertränkt.« Ayhan wischte sich den Mund und zerknüllte die Serviette.
    »Und dann?«
    »Sie nahmen, was leicht an Gewicht und schwer an Wert war, und flohen. Während sie wanderten und sich lagerten, Tulpen und Hyazinthen abbrachen, war ein ganzes Jahr vergangen.«
    Der Geschäftsführer kam wieder an den Tisch, und diesmal fragte er sie auf deutsch, ob es ihr geschmeckt habe.
    »Ja«, sagte sie, »sehr.« Auch mit Ayhan wechselte er ein paar Worte, dann ging er weiter zum nächsten Tisch, an dem eine ganze Gesellschaft Platz genommen hatte.
    »Und wie hört die Geschichte auf?« Ayhan nahm ihre Hand, die sich endgültig erwärmt hatte.
    »Die Hochzeit dauerte so lange, daß sogar das Schicksal um ein Jahr älter wurde. Die beiden hatten ihren Wunsch erreicht, wir wollen daran teilhaben. Vom Himmel aber

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