Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
Vom Netzwerk:
Viborowna, die Edvard mit erstaunlicher Sicherheit aus dem Seitenregal zupft. Übersichtigen Blicks taxiert Borisch das Geschehen, gewärtig, Hilfe leisten zu müssen, aber noch scheint Edvard sich auf den Beinen halten zu können. »Mach die Tür wieder zu«, befiehlt sie wie beiläufig und sich Mela von neuem zuwendend.
    Als Edvard wieder beim Tisch ist, setzt er die Flasche mit beiden Händen vorsichtig auf, doch dann sackt ihm der Hintern weg, und er landet zu plötzlich auf der unter ihm krachenden Bank.
    »Sie ist über zwanzig«, sagt Borisch vielleicht zum siebzehnten Mal in dieser Nacht. »Meine sind viel früher ausgeflogen. Und wenn ich Glück habe, schreiben sie alle paar Monate von wer weiß woher.«
    »Sich so davonzumachen, ohne ein Wort, ohne ein Zeichen.« Nicht gewahrend, was sie tut, greift Mela schon wieder nach ihrem Glas, das Edvard mit einem gezielten Strahl frisch gefüllt hat.
    »Ohne ein Wort vielleicht, aber ohne ein Zeichen?« Borisch schüttelt ungläubig den Kopf. »Du hast die Zeichen nur nichtbemerkt. Ich kenne deine Tochter auch. Sie hat ganz anders ausgesehen in der letzten Zeit. Und erinnere dich, was du von Weihnachten erzählt hast.«
    Mela steckt die Nase ins Gitter ihrer ineinander gehakten Hände. »Zeichen … Zeichen gibt es immer, aber sie sind unleserlich. Sie ist mir ein bißchen davongewachsen, das schon. Aber nichts, rein gar nichts hat auf diese Katastrophe hingedeutet.«
    Borisch rüttelt Mela ein wenig. »Was heißt da Katastrophe? Das Mädchen hat Lust auf Auslauf. Und dazu hat sie deine Erlaubnis nicht eingeholt. Mit zwanzig!«
    »So ganz ohne Abschied …«
    »Sie hat dir nicht gesagt, wo sie hinfährt, na und? Es sind Ferien. Sie hat heimlich ihre Koffer gepackt und ist mit einem Kerl in den Süden. Hast du das nie gemacht?«
    Mela richtet sich mißtrauisch auf. »Mit welchem Kerl?«
    »Allein wird sie schon nicht gefahren sein. Wart ab, bis die erste Karte kommt, dann helfe ich dir, den Namen zu entziffern.«
    »Und dann schnappen wir ihn uns, den Kerl«, sagt Edvard, als habe er tatsächlich zugehört. »Wir schnappen ihn uns, und dann kann er was erleben, wenn wir ihn uns geschnappt haben. Schnipp-schnapp!« Und er schnalzt mit den Fingern, wobei ihm plötzlich der Ellbogen wegrutscht.
    Borisch schaut angewidert zu ihrem Archivar hinüber, greift nach der Flasche, gießt sich ein ganz klein wenig nach und läßt dann ihre Hand auf der Flasche liegen, um sie vor unkontrolliertem Zugriff zu schützen. Mela fährt sich mit der Hand durchs Haar, und es zerfällt in wirre Schlangen. Die Wimperntusche hat ihr die gelegentlichen kleinen Tränen schwarz gefärbt, die nun als aderzarte Bahnen entlang derNase im aufgewühlten Fleisch versickern. »Also doch mit einem Mann! Nur warum und wozu?«
    Borisch lacht entgeistert. »Na, wahrscheinlich zum Sandspielen. Bist du schon ganz verblödet?«
    Mela schaukelt verständnislos mit dem Kopf. »Aber wozu wegfahren, ohne ein Wort. Bei dem Spielraum, den ich ihr immer gelassen habe.«
    »Wir schnappen uns den Kerl«, sagt Edvard, »und dann spülen wir ihn runter, daß ihm Hören und Sehen vergeht, jawoll.« Seine Hand huscht über den Tisch wie ein blutleckender Steinmarder und verhält lauernd vor der Flasche. In dem Augenblick, in dem Borisch nach ihrem Taschentuch greift, um aus Melas Gesicht die schwarzen Äderchen zu wischen, schlingt sich das kleine Raubtier blitzschnell um dieselbe herum, ohne sie gleich wegzuziehen, sonst könnte Borisch zu früh Verdacht schöpfen. Als Edvard sie dann mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit beschäftigt weiß, zieht er die Flasche ganz langsam in seine Richtung.
    Erst das Geräusch des Einschenkens macht Borisch stutzig, aber da ist es schon zu spät, und Edvard läßt den Wodka triumphierend hinuntergluckern.
    Borischs Blick entzieht sich der Schilderung – kein Kommentar. Sie weiß, daß Edvard jetzt bald einschlafen wird, nach diesem nachmitternächtlichen Schluck. Wenn er wenigstens von selber ins Bett ginge. Aber wenn sie jetzt »Schau, daß du ins Bett kommst« sagt, nimmt er höchstens die Flasche noch einmal.
    »Spielraum, Spielraum – verwöhnt hast du sie und festgehalten. Die braucht einen rauheren Wind. Aber den wird sie auf die Dauer nicht aushalten, und über kurz oder lang steht sie wieder da, ein bißchen verbumst, aber glücklich.«
    Melas Kopf schwingt schon wieder hin und her. »NichtFrô. Dieser Kerl! Ich glaube, ich weiß wer. Und ich sage dir, es ist eine

Weitere Kostenlose Bücher