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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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drückte, so daß sie sich mit den Ellbogen auf dem Teppich aufstützen mußte, und dann sah sie ihn, nur mehr ihn, wie er sich aufrichtete, um zuzustoßen, und es bedeutete ihr beinah eine Erleichterung, ihn aufzunehmen. Siesah, wie sein Körper sich über den ihren neigte, wie sein Kopf über dem ihren lag, und da entließ er sie endlich aus seinem Blick, und sie spürte seine Zunge in ihrem Nacken, seine Hände, die sich an ihrem Leib festhielten, sein Fleisch an ihrem Fleisch. Sie sah, wie er die Augen schloß, wie sein Gesicht sich veränderte. Sie hörte ihn und sie hörte sich keuchen, sie sah, wie sie sich bewegten, ein merkwürdiges dunkles Tier mit zwei Köpfen und einer hellen Bauchseite, ein wütendes Tier, so wie es sich ihrem Blick bot, und dann sah sie, wie dieses Tier sich aufbäumte, als wolle es sich selber verschlingen.
    Als Frô die Augen öffnete, lag Ayhan mit dem Rücken auf dem Boden und sie an seiner Seite. Er hatte den Arm um sie gelegt, und als sie den Kopf hob, zog er sie ein wenig an sich. Sie konnte den Spiegel so nicht sehen, nur Ayhans Gesicht, und sie betrachtete es lange, es war ausdruckslos.
    Wie mechanisch streichelte Ayhan ihr über den Rücken, während er mit der anderen Hand nach seiner Hose tastete und eine Packung Zigaretten hervorholte. Er steckte zwei in den Mund, entzündete sie und gab eine davon ihr. Nachdem sie eine Weile schweigend geraucht hatten, fragte er: »Tut es dir leid?« Sie erwiderte nichts und griff nach dem Aschenbecher neben dem Sofa. Als sie wieder in sein Gesicht sah, schien es ihr verschlossen, beinah hochmütig. »Ich habe von Anfang an befürchtet, daß es dir leid tun würde.« Etwas an diesem Satz beleidigte sie. Sie nahm ihm die Zigarette fort und legte sie zusammen mit der ihren in den Aschenbecher. Verwundert schaute er ihr zu, wie sie sich auf ihn legte.
    »Umarme mich«, befahl sie. Gehorsam legte er die Arme um sie, obwohl sie sich auf seinen Schultern mit den Ellbogen aufstützte. Sein Gesicht lag genau unter dem ihren und wirkte ein wenig spöttisch.
    »Du kannst es ruhig zugeben«, flüsterte er.
    »Du hast etwas vergessen.« Jetzt war sie es, die ihn nicht aus den Augen ließ.
    Er lachte ungläubig. »Vergessen?« Sie öffnete ein ganz klein wenig den Mund, ließ ihre Zungenspitze sehen und berührte damit seine Lippen. In diesem Augenblick erst schien er zu begreifen.

    »Und wenn man glaubt, ein Ende sei abzusehen, ist es besonders dick.« Der junge Mann sitzt auf Melas Wohnzimmersofa und übt sich in Morosität. »Die geben mir die verschusterten Milliarden löffelweise ein, und wie ich sie ausspuck, sind es noch einmal so viel. Dabei soll ich jetzt auch noch schuld sein, weil ich zu früh versucht habe, die sumpfigen Wiesen trockenzulegen. Hätte ich sie noch ein bißchen weitermauscheln lassen, heißt es, hätten sie noch groß kassiert, nämlich für die Firma. Daß ich nicht lache. Und was heißt sumpfige Wiesen? Die ganze Abwassergenossenschaft ist am Werk, und wo du hinstichst, rinnt die Kloake.«
    Nichts von einer werdenden Raubeule spiegelt sich in seinen Zügen, eher ein schlappgeschrumpfter Hush Puppy, der sich die Ohren unterm Kinn zusammenbinden kann.
    »Jeder hat so viel eigenen Fraß im Maul, daß er nicht reden kann. Und während sie die größten Brocken hinunterwürgen, versuchen sie die eigene Spur zu verscharren. Wobei logischerweise auch noch der zuunterst liegende Dreck nach oben geschleudert wird.«
    Mela hat ihm ein paar Brote aus dem Eigenbedarf in ihrer kleinen Küche zurechtgemacht, denn nicht einmal zum Essen ist der Gestreßte gekommen. Ein Zufall überhaupt, daß er zu dieser nachtschlafenden Zeit wieder einmal zu ihr gefundenhat. Die eigene Familie, hat er neulich in einem Interview gesagt, wäre schon froh, wenn er sich was anderes suchen würde, was Ruhigeres. »Wie komm ich denn dazu?« fragt er selbsterbarmungsvoll, wie ein Kind, das geweint hat und noch trocken nachschluchzt.
    Die Lösung wäre ganz einfach, aber dazu steckt er schon zu tief drin. Auch er hat bereits den Zahn an dem Knochen, den sie alle benagen, auch wenn er ihn gewiß nicht für den Hausgebrauch vergraben will. Und von der finsteren Waffengeschichte, die weiter als Irrlicht lodert und selbst von der Presse nur mit Asbesthandschuhen angefaßt wird, sagt er kein Wort, auch nicht zu ihr. Er wird wohl nicht von Anfang an davon gewußt haben, und jetzt ist er taub auf diesem Ohr. Einzig eine Frage der Gesetzeslage. Und es gibt eine Reihe

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