Ueber die Verhaeltnisse
er mit einem anderen, stabiler wirkenden Hölzchen die Bergungsarbeiten einleitet, hinter vorgehaltener Hand natürlich.
»Frô ist weg.« Der Satz steigt von Melas Lippen wie ein Spruchband.
»Was du nicht sagst.« Jetzt steckt auch das neue Hölzl fest, und es geht darum, die beiden mit einem einzigen, gekonnten Stoß durch den engen Zwischenraum der Zähne in die Mundhöhle zu drücken. Geschafft. Er spuckt die Späne in die Serviette, und dann spürt er mit der Zunge, daß ein bißchen Blut nachkommt. Merkwürdiger Geschmack, aber nicht unangenehm.
»Auf und davon«, sagt Mela dramatisch, »ohne ein Wort.«
»Tragisch.« Der Chef versucht sein Zahnfleisch mit Bier zu beruhigen. »Und mit wem?«
»Siehst du, das hab ich mich auch gefragt.«
»Und, bist du drauf gekommen? Obwohl … in ihrem Alter, da kannst du sowieso nichts machen.«
So wie Mela den Chef jetzt fixiert, schwant auch ihm, daß es nicht so glimpflich abgehen wird. Zur Vorsicht schaut er auf die Uhr.
»Wer und was ist dieser Heyn, und vor allem, wo finde ich ihn?«
Der Chef wird sich doch nicht verhört haben.
»Wie kommst du auf Heyn?«
Mela trommelt leise mit der Faust auf den Tisch.
»Das ist der Kerl!«
»Wieso Kerl?«
»Der Frô entführt hat.«
»Nicht möglich.« Der Chef schickt einen langen melancholischen Blick in die Ferne.
»Er hat sie irgendwohin in den Orient verschleppt, ich glaube in die Türkei. Aber diese Information muß nicht stimmen.«
»Bist du sicher, daß er sie entführt hat, ich meine gegen ihren Willen …?«
»Er muß sie verhext haben.«
Der Chef beginnt unruhig zu werden. Was ist denn das für eine merkwürdige Geschichte, in die sie ihn da hineinzieht. In zwanzig Minuten hat er die nächste Sitzung, und er würde sich vorher gerne noch etwas durch den Kopf gehen lassen.
»Verliebt …« Gutmütig sagt der Chef das Nächstliegende.
Mela wischt es sofort vom Tisch. »Ich will meine Tochter wiederhaben, verstehst du?«
»Ja, aber …« Hilflos schaut der Chef noch einmal auf die Uhr, dann setzt er auf Entschlossenheit. »Also, wenn ich irgend etwas für dich tun kann, laß es mich wissen.« Und er wischt sich abschließend den Mund.
»Du wirst diesem Heyn einen Wink geben, hörst du, und wenn er sie nicht freiwillig herausgibt, wirst du sie zurückholen lassen.«
Das kommt ja immer dicker. »Mela«, sagt der Chef, »ich glaube, du siehst das zu einseitig. Ich werde der Sache nachgehenund sehen, was sich machen läßt. Wenn sich aber herausstellt, daß sie freiwillig …«
»Das ist das mindeste, was du für sie tun kannst.« In diesem Augenblick klopft es, und his master’s voice, der gelernte Einbläser, winkt unerbittlich. Das lähmt ihr den Mund um Haaresbreite vor der Pointe. Erschöpft sinkt Mela auf ihre ganze Sitzfläche zurück.
»Also, mein liebes Melerl«, sagt der Chef jovial, »ich werde mich schon um die Angelegenheit kümmern und schauen, was sich machen läßt.« Und fort ist er. Nicht einmal sein Bier hat er ausgetrunken, was er sonst noch im Aufstehen tut.
»Es muß sich was machen lassen«, sagt Mela zu sich selber, »sonst garantiere ich für nichts.«
»Ich habe«, sagt Ayhan später zu Frô, »von meiner Mutter die Gabe geerbt, Zusammenhänge – vor allem zwischen Menschen – rasch zu erfassen. Auch ist mein Ohr geschärft für Gerüchte, selbst wenn ich mich oft gar nicht dafür interessiere. Aber sogar im Pissoir verraten Männer, die zwanglos nebeneinanderstehen, die Rangordnung, in der sie zueinander gehören. Auch genügt mir oft die Betonung eines einzelnen Wortes oder ein als Halbsatz verschlüsselter Hinweis, um dem, was dabei verschwiegen werden soll, auf die Spur zu kommen. Das ist mir nicht immer angenehm, aber mein Gedächtnis hat offenbar die Fähigkeit, einzelne Sinneseindrücke, Gehörtes, Gesehenes, Erspürtes, so miteinander zu verbinden, daß sich Beziehungen daraus ergeben. So habe ich zum Beispiel damals, als ich dich zum ersten Mal sah, bereits gewußt, daß sowohl der Chef als auch der junge Mann sich in einer gewissen menschlichen Nähe zu deiner Mutter befinden. Und in dem Augenblick, als du, neben dem Chef stehend,das Bier absetztest, ist mir der Verdacht gekommen, daß du die Tochter des Chefs seist. Nicht daß ihr euch in irgendeiner Weise ähnlich säht, aber in diesem Augenblick habt ihr beide die Hand gehoben, du, um ein Bierglas aufzunehmen, er im Gespräch, und diese Bewegung ist nicht nur völlig synchron, sondern auch in ihrem Ablauf so
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