Ueber die Verhaeltnisse
gleich gewesen, daß ich nicht mehr an einen Zufall habe glauben können, obwohl ich sicher war, daß weder du noch der Chef etwas von diesem Zusammenhang wußten.
Nur bei dir selbst bin ich offenbar einer Täuschung erlegen, denn ich habe dich bei jenem ersten Mal für ein nicht unhübsches, jedoch total verschüchtertes Mädchen gehalten. Aber schon in der darauffolgenden Nacht habe ich von dir geträumt, und dieser Traum hat mich nicht nur als solcher zutiefst verwundert, sondern die Tatsache selbst, nämlich daß ich nach so vielen traumlosen Jahren überhaupt wieder träumte, hat mich betroffen gemacht, ja geradezu aufgewühlt. Es war ein sehr deutlicher Traum, an den ich mich noch immer in vielen Einzelheiten erinnere, obwohl – wie in jedem Traum – auch in diesem einiges dunkel geblieben ist.
Es begann damit, daß ich geträumt habe, tot zu sein und als Toter zusammen mit vielen anderen Toten in einer großen Höhle aufgebahrt zu liegen. Plötzlich habe ich in der Mitte der Höhle eine weibliche Gestalt, in lange schwarze goldbestickte Gewänder gekleidet, gesehen, die einen roten Apfel in der Hand hielt. Die Gestalt hat auch einen Stirnreif getragen, der das Licht der Fackeln in einem Glitzern reflektierte. Dann ist diese Gestalt die Toten entlanggeschritten, hat sich über jeden einzelnen gebeugt und eine Geste vollzogen, als wolle sie ihnen die Augen zudrücken. Als sie zu mir kam und mich angesehen hat, habe ich dich erkannt. Ich habe dich angestarrtund etwas wie einen Sog gespürt, der mich emporzog, doch habe ich mich nicht rühren können. Da hast du meine Hand genommen, ich bin aufgestanden und habe mich neben dich gestellt. Ich trug nun ebenfalls lange schwarze goldbestickte Gewänder, du aber hast nach deinem Stirnreif gegriffen und ihn mir aufgesetzt. Damit hast du mich zum König gemacht, den Apfel aber hast du behalten.
Dieser Traum ist mir so ins Gemüt gefahren, daß ich den Rest der Nacht wach gelegen bin, aber gerade dieser Traum erklärt, warum ich es für so selbstverständlich hielt, dir wieder zu begegnen. Es war mir sozusagen auf die Stirn geschrieben, wie meine Mutter Unausweichliches oder Schicksalhaftes zu nennen pflegte. Damals im Kino, aber auch danach bist du mir wieder sehr schüchtern vorgekommen, bis der Verdacht in mir aufstieg, du würdest nur deshalb die Lider senken, um mich deinem Blick nicht auszusetzen, was mich einigermaßen verwirrte. Dann aber, als du in dem schwarzen Kleid und den glitzernden Kämmen im Haar vor mir gestanden bist, habe ich versucht, dir meinen Blick aufzuzwingen, um herauszufinden, wie stark du wirklich bist. Als du dann aber über meine Schulter hinwegschautest, so als stehe hinter mir noch jemand, habe ich für einen Moment so etwas wie Angst empfunden. Wie gesagt, nur für einen Moment, aber das hat mich sehr herausgefordert.
Als ich dich dann im Spiegel sah und dein Mund so rot wie jener Apfel im Kerzenlicht aufleuchtete, ist dieses merkwürdige Gefühl noch einmal über mich gekommen, nämlich als Todesangst, und ich habe nur mehr den Wunsch verspürt, dich niederzuzwingen. Im Unterschied zu meinem Traum hast du mir dann aber auch den Apfel dargeboten, indem du mich auffordertest, dich auf den Mund zu küssen. Da erst habe ichwieder begonnen, dich als jenes Mädchen zu sehen, als das ich dich kennengelernt habe, und doch auch als eine ganz andere.
Einige Stunden nachdem du gegangen warst, hat mich tatsächlich meine Dienststelle angerufen und mich zu einer geheimen Verhandlung nach Zürich beordert, aber es stimmt nicht, daß ich deswegen auch die zweite Nacht nicht geschlafen habe. In Zürich lebt eine meiner alten Freundinnen, und ich habe mich in meiner Verwirrung auf eine wilde Nacht mit ihr eingelassen, um dich zu vergessen, was aber nicht und nicht gelingen hat wollen, sondern damit endete, daß ich mit meiner alten Freundin über dich sprach, was diese sehr wundergenommen hat, da ich ihr noch nie derartiges erzählt habe. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich dich anrief, hatte ich noch immer mit dem Gedanken gespielt, dich nie wiederzusehen und dieses Gefühl der Liebe mit Gewalt zu ersticken. Nicht mehr wegen jener merkwürdigen Angst, die ich vor dir empfunden habe, sondern weil ich hatte fürchten müssen, daß du den Mut nicht haben würdest, mit mir zu gehen. Auch sah ich keine Möglichkeit, meine Bestellung rückgängig zu machen, denn es steht dabei noch immer mehr auf dem Spiel, als ich dir damals hätte glaubwürdig erklären
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