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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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diese Ihnen fremde Welt behilflich zu sein.« Und so, als sei dies nun endlich das Zeichen zum Verlassen der zugigen Halle, ergreift Heyn die beiden abgestellten Koffer, die allerdings über seine Kräfte gehen, so daß sogar Mela sich herbeiläßt, ihm zu erklären, daß ihr ambulanter Kleiderschrank ein fahrbarer sei, man brauche ihn also nur zu rollen, desgleichen den von Borisch. Was an Gepäck noch verbleibt, diverse Taschen und Köfferchen, wird von den beiden Damen geschultert, und so bewegt sich die kleine Karawane auf den real existierenden Orient zu, den Borisch mit Sicherheit außerhalb des Flugplatzes vermutet.
    Es ist ein grauer Tag und der Himmel wie mit Bleistift schraffiert. Der sogenannte Flughafenwind fährt ihnen unter die Röcke, sobald sie die Halle verlassen haben und – noch im Schatten von irgendwelchen tragenden Betonsäulen, obwohl sie sich gar nicht erst die Zeit nehmen, herauszufinden, was diese Säulen tragen – auf ein Taxi zuhalten, das der jüngere Heyn mit einem unglaublichen Pfiff herbeigeholt hat.
    »Meine Damen.« Mela kann nicht umhin, beim Einsteigen die Hilfe des jüngeren Heyn in Anspruch zu nehmen, der ihr inzwischen die diversen Taschen hält, die sie sich dann nach und nach wieder greift. Heyn redet eine Weile auf den Taxifahrerein, neben den er sich gesetzt hat, und dieser kratzt sich mehrmals am Ohr, als kitzle ihn die an einer Schnur vom Wagendach baumelnde blaue Perle, die – wie Heyn später erklärt – zum Schutz gegen den bösen Blick dort hängt, was Mela dazu veranlaßt, dem Fahrer freundlicher ins Genick zu starren. Und dann fahren sie, auf lähmende Weise eingekörpert in den breiten Fluß der sich in verschiedenen Strömen stadteinwärts drängenden Fahrzeuge, aber langsamer als jeder Bach, dahin. Mit einemmal geht es bergauf, und man kann, da die Straße nur mehr zweispurig befahrbar ist, die Häuser aus der Nähe sehen. Sie bleiben lange am Rand eines Abgrunds stocken, in dem gewaltige zitronengelbe Baumaschinen das Erdreich verschieben, die, wie Borisch von ihrer Seite aus sehen kann, die Straße, auf der sie eingekeilt stehen, unterhöhlen. Eine Frau geht zwischen dem Taxi und der Häuserzeile vorüber. Sie trägt ein kleines rundes Kissen über dem Kopftuch und darauf ein großes Kupfertablett voller Sesamkringel.
    Mela kann die Enttäuschung, daß Frô ihr – wider alle Erwartung – nicht doch entgegengekommen ist, nicht verhehlen. Natürlich war nichts ausgemacht gewesen, kein Tag, keine Stunde, nur ein vages Sich-in-dieser-Stadt-Treffen, aber trotzdem. Daß der jüngere Heyn sie abholen gekommen ist, sagt doch, daß nicht nur der Konsul, dem der Chef einen Wink gegeben haben mag, sondern auch Frôs Heyn von ihrer Anwesenheit gewußt hat. Und Frô ist womöglich ahnungslos? So brütet sie mit gegen äußere Eindrücke stumpfen Sinnen vor sich hin.
    Borisch hingegen kann es kaum erwarten, die ersten großen Baudenkmäler zu sehen, die die Stadt angeblich in ihrer Einmaligkeit ausmachen, und es verdrießt sie, noch mit den kleinen verbauten Häusern und den an kurze dicke Bleistiftegemahnenden Minaretten der Vorstadtmoscheen vorliebnehmen zu müssen. »Ist das schon Istanbul?« fragt sie den jüngeren Heyn, der gelegentlich in die Zeitung auf seinen Knien schaut. Er blickt auf, selbst interessiert, und meint dann: »Offenbar ja. Von Tag zu Tag verfilzt sich das mehr, diese Stadt wuchert wie ein Pilz.« Noch ist nichts in Sicht, was Borischs Blick ein Jubeln oder auch nur Anerkennung entlocken könnte, und Heyn tröstet sie, indem er sagt, es dauere eben eine Weile, bis man zum Kern der Sache vorstoße.
    Langsam zwängt das Taxi sich nun hinter einem querstehenden Caterpillar hervor, und Borisch ist erleichtert, den Abgrund hinter sich zu wissen. Alle am Verkehr beteiligten Fahrzeuge hupen, Kinder springen lachend dazwischen, und auf den schmalen Gehsteigen stehen hin und wieder Holzstühle, auf denen in sich versunken, eine Perlenschnur in den Händen drehend, ein Mann sitzt, ohne sich um den Höllenlärm und das Gedränge zu kümmern.
    »Wir nähern uns von hinten«, sagt Heyn beiläufig. Die Häuser werden höher, die Gassen finsterer, das Gewimmel größer und ein wenig eleganter. Borisch hat einen Stadtplan vor sich liegen, eine Vorsichtsmaßnahme des fürsorglichen Edvard, aber entweder ist der Stadtplan zu alt oder der Fahrer fährt noch immer zu schnell, denn Borisch hat längst die Orientierung verloren und lehnt sich enttäuscht

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