Ueber die Verhaeltnisse
Khediven-Schloß, das im Augenblick, wie er betont, zu den sieben gastronomischen Stadtwundern gehöre, unerschwinglich, aber gerade deshalb eben gut genug, das branchengeübte Auge der Schwippschwiegermutter – er traut sich wirklich was – sowie deren verwöhnten Gaumen zu reizen.
Es sei natürlich schade, sagt der jüngere Heyn, daß sie das Schlößchen nicht bei Tageslicht sähen; die Khediven, eine türkische Dynastie in Ägypten, die sich im Sommer hier erholten, wenn ihnen die Wüste zu heiß wurde, hätten schon gewußt, was schön ist. Das Ganze sei von beinah französischer Eleganz, ganz in Weiß, mit einem flachen roten Hohlziegeldach, und im Frühjahr könne man draußen, im Rosengarten, Tee trinken. Die Inneneinrichtung sei ebenfalls dem Jugendstil verpflichtet, einer Art orientalisiertem oder Export-Jugendstil, der trotz der schlanken Formen zum Prunk neige, wie man an der prächtig ornamentierten Holzdecke oder an den Lamperien in den jetzigen Speisesälen sowie an der Verzierung der Säulen im Vestibül erkennen könne. Das Schloß sei übrigens erst vor kurzem renoviert und vom hiesigen Touring-Club übernommen worden, der auch die Idee mit dem Restaurantgehabt habe. Das Ganze sei also noch eine recht junge Attraktion, die natürlich in erster Linie von den Spitzenmanagern großer Firmen und deren Troß in Anspruch genommen werde, zu deren Unterhaltung man auch Volkstanzgruppen und Bauchtänzerinnen anmiete, die dann etwas angeheiterte füllige Chefetagen-Haie zum Mittanzen animierten und ihnen dabei das Hemd auszögen, um ihnen aufs anschaulichste beizubringen, wie sie den Nabel zu werfen hätten. So nenne man den Bauchtanz auf türkisch nämlich, den Nabel werfen.
Borisch hört hingerissen zu, und so wie sie dasitzt und sich trägt, in elegantestem Creme, mit nichts als einer einzigen tropfenförmigen Perle am Hals, verkörpert sie glaubhaft den idealen Gast, ja die Seele des Gastes, der sich aus purer Lust das Vergnügen gönnt, ohne den Hintergrund einer Spesen-Abrechnung. Wohingegen Mela der Blendung durch Glanz und Kostüm nicht erliegt, das Essen zwar tadellos, aber das Service als zu langsam und personalaufwendig taxiert und im Kopf eine kleine, über den Daumen gepeilte Rentabilitätsrechnung anstellt, die ihr die Grausbirnen aufsteigen läßt.
Doch gerade in diesem Augenblick sagt der jüngere Heyn etwas von den für österreichische Verhältnisse unvorstellbar geringen Lohnkosten – kann er womöglich auch noch Gedanken lesen? – und wie überhaupt an den Gehältern gespart werde, vor allem bei den Staatsangestellten. So erhalte ein türkischer Lehrer, der dasselbe leiste wie er, aber nicht wie er vom österreichischen Staat bezahlt werde, nur etwa ein Zehntel von dem, was er bekomme. Von den übrigen Beamten und dem Militär ganz zu schweigen, das heißt die Angehörigen des Militärs hätten zumindest noch Anspruch auf gewisse Privilegien hinsichtlich Unterkunft und Verpflegung. Sogar eigene Zigaretten würden für die Militärs erzeugt. Verdienenkönne man nur in der freien Wirtschaft, und daß verdient werde, könne man an der wuchernden Bautätigkeit sehen, irgendwo müsse das Geld ja bleiben.
»Ich möchte wissen, wo meine Tochter bleibt«, sagt Mela, als spreche sie mit sich selber, und vielleicht plumpst ihr Satz gerade deshalb so ungelenk in des jüngeren Heyn soziographische Ausführungen, weil er eher laut gedacht und aus diesem Grund auch laut gesprochen war und auf ziemlich abrupte Art kundtut, wie wenig sie eigentlich zuhört.
Borisch verkutzt sich am letzten Stück vom Lammfleischspieß, und der jüngere Heyn weicht zuerst in ein nachsichtiges Grinsen aus, dann zeigt er, daß er auch Ausfälle wie diesen, selbst wenn sie ihn unvorbereitet treffen, parieren kann. Geheimnistuerisch legt er den Finger an die Nase und schließt die Augen, als genüge das, um zu halluzinieren. »Also«, sagt er, ganz im Banne dessen, was sich angeblich hinter seinen Lidern abspielt, »meine schöne Schwägerin« – er läßt nicht locker, was die Verwandtschaft betrifft –, »befindet sich im Augenblick in einem außergewöhnlichen Restaurant, vor sich zartes Hammelfleisch mit Pfefferminze im Teigmantel, und sie führt gerade einen Bissen zum Mund …« Er öffnet die Augen ein wenig, um festzustellen, wie weit er gehen kann, aber als Mela den von ihm beschriebenen Bissen tatsächlich in den Mund steckt, schließt er sie wieder. »Ihr Mann, mein Bruder, schenkt ihr gerade Wein ein,
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