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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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ergriffen. Mela schaut zum Fenster hinaus und erblickt den Schatten des Flugzeugs, der über die Rollbahn huscht. Und als er unter dem Flugzeug verschwindet, mit dem Flugzeug eins wird, berühren sie die Erde wieder. Jemand beginnt zu klatschen und reißt die anderen mit. Mela seufzt, und Borisch flüstert erleichtert: »Da sind wir.«
    Sie tun, was alle anderen auch tun, holen ihr Handgepäck aus den Behältern und schließen sich an, stehen wortlos in der Schlange, zeigen ihren Paß. Es gelingt ihnen, ohne größereAufregung zu ihren Koffern zu kommen, die sie geschickt vom Förderband heben, Borisch hat sogar eines jener kleinen Wägelchen errafft, mit dem sie anstandslos bis zum Zoll kommen, wo sie das Wägelchen dann allerdings undanks stehenlassen. Alles geht glatt und verläuft wie bis in die Einzelheiten geplant.
    Sie haben die Formalitäten hinter sich, jetzt erst sind sie da, tatsächlich in dieses Land entlassen.
    »Und jetzt?« fragt Borisch. Sie haben sich ein paar Schritte in die Halle hineingewagt und dann ihre Koffer wieder hingestellt, um Ausschau zu halten.
    »Pardon«, sagt jemand und vollführt dabei einen Doppeldiener, einmal in Richtung auf Borisch, die er offensichtlich als die ein wenig Ältere erkannt hat, dann in die von Mela. »Heyn«, fügt er hinzu, und als Mela ihn irritiert zu mustern beginnt, beeilt er sich mit der Erklärung, »weder der Gesandte noch Klemens, sondern Christoph Heyn.«
    »Christoph?« Borisch hat sich als erste wieder gefaßt.
    »Ja, Christoph, ich weiß, daß ich die Vorgabe nicht ganz einhole, aber Riesen lassen sich nun einmal nicht planen.« Dieser Heyn war tatsächlich Durchschnittsgröße, eher sogar ein bißchen Unter-, so groß wie Borisch oder Mela ohne Absätze.
    »Ich bin der Bruder, der jüngere Bruder.«
    Und als Mela ihn noch immer ohne jede verwandtschaftliche Milde anstarrt, fährt er fort: »Der Bruder des Schwiegersohns, besser gesagt, ein Schwiegerbruder.«
    »So«, herrscht Mela ihn an, »und wo ist Frô?« Sie weiß inzwischen, daß ihr Heyn in Ankara akkreditiert ist, wo sie letztlich auch hinwill, aber diese Stadt sollte erster Treffpunkt sein, und jetzt ist Frô gar nicht da. Ein Manöver des Chefs, sie aufzuhalten? Christoph Heyn muß damit gerechnet haben, daßdie erste Begegnung mit der neuen Schwippsippe befremdlich ausfallen würde, denn er läßt sich nicht einschüchtern.
    »Halten zu Gnaden«, säuselt er mit der Vertreterliebenswürdigkeit des Auslandsösterreichers, »Bruder und Schwägerin befinden sich auf Antrittsbesuch bei den Provinzgouverneuren und haben ein paar Tage Hochzeitsreise angehängt, um das Nützliche mit dem Angenehmen …«
    »So«, schnaubt Mela noch einmal. Borisch versucht einzulenken. »Wie haben Sie uns überhaupt erkannt?« Und wie in alten Zeiten betont sie wieder alles heftig auf der ersten Silbe.
    Heyn, dankbar, den Blick von Mela wenden zu dürfen, verbeugt sich noch einmal. »Unterschätzen Sie die Leistungen des Österreichischen Erkennungsdienstes nicht. Die Personenbeschreibung der beiden Ehrenwerten, die dem hiesigen Amt zugegangen ist, hätte mich befähigt, Sie auch aus dem berüchtigten Heuhaufen herauszufischen. Dazu kommt noch das eine oder andere von der neuen Schwägerin Erwähnte, das aber eher irreführend ist, wie alles, was man aus zu großer Nähe beurteilt.«
    »Ist er auch Diplomat?« So wie Mela das herausrutscht, ist klar, was ihre Einschätzung geschlagen hat. Sonnenklar. Aber der jüngere Heyn pariert mit eingeseifter Klinge. »Gelegenheitsdiplomat in besonderem Auftrag. Ansonsten ist er im Schuldienst.«
    Inzwischen hat Borisch Mela um die Schultern genommen und ihr ein disziplinierendes »Vergräm ihn uns nicht. Er ist scheints der einzige, den wir hier haben!« ins Ohr gezischt.
    »Lehrer also«, sagt Mela, immer noch so, als sei sie eine barocke Landesfürstin, deren Unmut das in der dritten Person anzusprechende Subjekt erregt hat.
    »Mit Verlaub«, gibt der jüngere Heyn zu wissen und tipptdiesmal sogar, während er sich verbeugt, an seine karierte Schirmmütze.
    Borisch hat das Gekränkte-Herrscherin-Spiel von Mela satt und zirpt mit entwaffnender Ehrlichkeit: »Wer oder was auch immer Sie sein mögen, wir sind natürlich heilfroh, daß Sie sich um uns bemühen, denn, verstehen Sie mich richtig, wir sind zum ersten Mal …«
    Der jüngere Heyn läßt sie nicht ausreden: »Sowohl mein Bruder als auch der hiesige Konsul haben mich gebeten, den beiden Damen beim Übertritt in

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