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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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Rückkehr«, sagt Edvard feierlich, »jetzt aber brauch ich einen Schluck auf den Schrecken.« Nun kann also auch Borisch darangehen, ihren Koffer zu packen.

Das Land von oben – ein kleines Stück Flurbereinigung, und schon ist die Grenze überflogen.
    Nicht nur das Kind, auch der Mythos erzwingt diese Reise. Aber was heißt heute schon Unterwelt? Die Fortsetzung der Freien Wirtschaft mit anderen Mitteln? Also auf in eine Anderswelt, in was Entgegengesetztes, in ein Land, das vertraut und fremd zugleich ist. Die Wiege des Abendlandes stand, sagen wir, in Byzanz, auch in Byzanz; dazu der strenge Geschmack von etwas Kardamom – und ist die Erwägung einmal so weit gediehen, ist um die Türkei kaum mehr herumzukommen. Ein zwingender Schauplatz also, fern dem Olymp, aber wie sagt Borisch so einleuchtend: Auch Kriege verbinden! Zumindest von den konventionellen ließe sich das behaupten – im nachhinein natürlich. Und Kriege gab es sonder Zahl, unter der Beteiligung der umliegenden und angrenzenden Länder. Lamm und Kreuz gegen Halbmond und Stern, Abendland gegen Morgenland und umgekehrt. Und die tausendunderste Variante dieses Aufeinanderprallens wird das Faß demnächst wieder zum Überlaufen bringen, vielleicht ein wenig westlicher. Ein dicker Ölfilm deckt dann das Mittelmeer, wenn ein tollwütiger und ein räudiger Hund gegeneinander das Bein heben. Und wo sie hinpinkeln, wachsen keine Algen mehr.
    Die Welt ist augenfällig im Ungleichgewicht, und selbst einso winziges Land wie das, dem Mela und Borisch gerade entfliegen, kann international Unmut erregen. Respektlos kommentiert jemand: je kleiner der Dreck …
    Und die Zeitungen zeigen die vertrauten Gesichter, aber Melas Interesse ist kupiert, umso heftiger erwittert Borisch den Geruch nach zukünftiger Geschichte.
    Skandalgesättigt und in der Deckung erstarrt, muß wohl einer aus dem Team des Chefs auf die Bumerang-Idee gekommen sein. Ein neuer Deus otiosus soll installiert werden, ein repräsentativer oberster Gott, der sich rasch zurückzieht. Doch die anderen bestehen auf ihrer ersten Anwartschaft! Eine Frage der Symmetrie, so wird argumentiert, zumindest den Präsidenten wollen sie stellen, diesmal einen mit internationalem Renommee, eine späte Antwort auf den roten Altvater. Beraten von den bestallten Einbläsern, hat der Chef den anderen aber ein Trumpf-Ei gelegt, nicht ahnend, daß tatsächlich ein kleiner Drachen ausschlüpft, dessen Schwefel-Atem voll auf das Land zurückschlägt. Und sofort blättert der Lack ab, und die alten Gräben werden wieder sichtbar. Was als Gerücht konzipiert war, erweist sich auf höherer Ebene als richtig, und das benachbarte, aber auch das entfernte Ausland delektieren sich empört und gewissermaßen bestätigt, am Flagranti-Beweis dafür, daß man die Dinge zwar erfolgreich, aber nicht auf ewig unter den Tisch kehren kann.
    Die Knie voller Gazetten, die sich bereits wellen vom feuchten Griff, reisen Mela und Borisch entlang der Luftlinie auf die Stadt da unten zu, jene sagenhafte, die nichts, aber auch gar nichts mit den Turbulenzen der verlassenen zu tun hat und die dieselben auch nicht zur Kenntnis nehmen wird, da sie sie, verglichen mit denjenigen, die ihre eigene Luft verpesten, für geringfügig hält und für außerhalb des sensiblenDunstkreises. Und was Borisch die helle Empörung in die Haarwurzeln treibt, kommentiert Mela höchstens mit einem unhörbaren »da habt ihr’s«, Ausdruck einer natürlichen Vergeltungssucht. Sie gönnt dem Chef sowohl Blamage als auch die Presse, so rächt sich in ihren Augen die zu leicht genommene, die verweigerte Vaterschaft.
    Im übrigen haben sowohl Mela als auch Borisch spätestens beim Betreten des Flughafens mit ihrem Leben abgeschlossen. Mit einer Art Todesmut haben sie eingecheckt, begleitet von Edvard, der ihnen die weltmännischsten und unnützesten Ratschläge gab, die jemand, der noch nie geflogen ist, Erstfliegern nur andrehen kann. Als dann aber in Höhe der Theiß-Ebene mit dem Service begonnen wird, haben Mela und Borisch sich mit ihrem möglichen Ableben bereits dermaßen arrangiert, daß sie neugierig das plastikverschweißte durchdesignte Essen auseinandernehmen, während sie hinter sich jemanden sagen hören, offenbar einen Angehörigen des Brudervolks: »Das Herz Europas leidet an einem Klappenfehler!« Worauf ein anderer Jemand antwortet: »Vergiß es, Europa ist eine Fata Morgana und nichts mehr mit Herz.«

    Bei der Landung hat Borisch Melas Hand

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