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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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zurück.
    Wenig später, nach einer größeren Schleife im Stadtgebiet, nachdem sie einen langgezogenen Platz umrundet haben, ist plötzlich die Aussicht frei aufs Wasser.
    »Schauen Sie«, sagt der jüngere Heyn. Und obwohl sie es nicht beabsichtigt hat, entfährt sogar Mela ein gehauchtes »Ach!«, als ihr Blick zum ersten Mal auf den Bosporus fällt.
    In zwei Stunden werde er sie zum Essen abholen, sagtChristoph Heyn, nachdem er sie im Hotel abgeliefert hat. Sie würden sich gewiß ein wenig hinlegen wollen. Ja, sie täten wirklich gut daran, im voraus zu schlafen, denn er habe heute abend einiges mit ihnen vor und, fügt er hinzu, das Nachtleben der Stadt erfreue sich eines internationalen Rufs.
    Mela hat noch immer gehofft, zumindest eine Nachricht von Frô in ihrem Hotelfach vorzufinden, aber da ist nichts, obwohl sie zur Sicherheit noch einmal fragt.
    »Mein Gott«, sagt Borisch, »jetzt, wo wir schon da sind, wirst du es wohl noch erwarten.«
    Ihre Zimmer liegen nebeneinander, und beide sind sie gleichzeitig auf den Balkon hinausgetreten. Es hat zu nieseln begonnen, und der Nebel scheint in großen Schwaden aus den Schornsteinen der Fährschiffe zu kommen. Dennoch ist Borisch, die den Plan wie eine Wetterfahne flattern läßt, überzeugt, daß das dort drüben, rechts im Bild, der Topkapi-Palast sein müsse, während vor ihnen, in der Meerenge, der Turm des Leander zu sehen sei und unter ihnen eine weiße Moschee und der neue Palast.
    »Wach auf«, sagt sie zu Mela, »schau dich um. Als Schwiegermutter kannst du dich noch früh genug profilieren.« Und plötzlich zieht sie ein kleines Fernglas aus der Tasche, mit dem sie ausführlich die gegenüberliegende asiatische Seite nach Merkwürdigkeiten absucht. Dieser kindische Eifer zwingt sogar Mela zum Lächeln.
    »Du glaubst wohl auch«, brummt sie, »du versäumst es.« Und als Borisch ihr nicht einmal einen Blick gönnt, setzt sie hinzu: »Ich frage mich nur, was?«

    »Mein Bruder«, sagt der jüngere Heyn und knackt dabei den Chitinpanzer einer Languste auf, »wäre gewiß ein guter Geheimdienstchef.Aber in Anbetracht der Unbedeutendheit dieser Organisation in Österreich hat er das wohl gar nicht erst angestrebt. Und da das Gute und das Böse sehr nahe beieinanderliegen, hat er sich für das Gute entschieden und schnüffelt dessen Möglichkeiten aus oder wie immer man das nennen soll, was er tut.«
    Sowohl Mela als auch Borisch hat es für kurze Zeit die Rede verschlagen, ja, letztere zögert sogar, den bereits aufgespießten Bissen zum Mund zu führen.
    »Die Gabe«, fährt Heyn fort, »nämlich das vorzeitige Erkennen von undeutlichen Zusammenhängen, ist uns beiden gleichermaßen von unserer türkischen Mutter vererbt worden.« Mela zuckt, die türkische Mutter ist ihr neu. »Was uns unterscheidet, ist der Ehrgeiz.« Und der jüngere Heyn schiebt genießerisch einen Bissen nach. »Und daß ich schon länger wieder im Land bin. Das heißt …«, und er lächelt so rücksichtslos ansteckend, daß sich die Mundwinkel von Mela und Borisch unwillkürlich heben.
    »Selbstverständlich sind wir beide im Vaterland ausgebildet worden, besitzen die Staatsbürgerschaft und sind auch den damit verbundenen Verpflichtungen nachgekommen, sprich Präsenzdienst, den mein Bruder mit der Waffe geleistet hat und ich ohne, obwohl ich – im Vertrauen gesagt – ein guter Schütze bin, jedoch bevorzuge ich Pfeil und Bogen, eine altehrwürdige osmanische Tradition, genaugenommen eine mystische Disziplin. Aber das interessiert Sie wahrscheinlich gar nicht. Wir sind beide in die österreichische Schule gegangen, in dieselbe, an der ich heute unterrichte. In der Familie galt mein Bruder immer als der Türke und ich als der Österreicher. Jetzt sieht es allerdings anders aus, das heißt, ich weiß nicht …«
    Der jüngere Heyn taucht die Finger in eine Schale mitZitronenwasser und trocknet sie dann mit der Serviette. Sein blondes Haar ähnelt dem Fell eines jungen Widders und sitzt wie eine Kappe auf seinem Kopf, während seine großen grauen Augen in ständiger Bewegung sind.
    Er hat sie pünktlich, wie versprochen, abgeholt, diesmal im eigenen Wagen, und ist mit ihnen über die Brücke auf die andere Seite des Bosporus gefahren. Des feuchten, verhangenen Wetters wegen, das sie kaum die Lichtergirlanden auf den großen Moscheen erkennen ließ, hat er sich nicht lange mit der Demonstration von Sehenswürdigkeiten aufgehalten, sondern fuhr ziemlich geradenwegs zu jenem

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