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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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einzige auf der Welt ist, die besten ethnologischen Museen befolgen das gleiche Muster), es rekonstruiert nämlich ganze Interieurs in voller Größe, ähnlich wie Johnson den Oval Room.
    Allerdings wird in anderen Museen (zum Beispiel in dem exzel-lenten Museum für Anthropologie in Mexico City) die manchmal höchst eindrucksvolle Rekonstruktion (etwa eines aztekischen Marktes mit seinen Händlern, Kriegern und Priestern) deutlich als solche bezeichnet; die archäologischen Funde stehen gesondert, und wenn ein Fundstück in perfekter Kopie rekonstruiert worden ist, wird klar darauf hingewiesen, daß es sich um eine Rekonstruktion handelt. Gewiß fehlt es dem Museum der Stadt New York nicht an archäologischer Präzision, es unterscheidet durchaus zwischen echten und reproduzierten Stücken, aber die Unterscheidung fi ndet sich in erklärenden Texten auf Tafeln an der Wand neben den Vitrinen, während in den Vitrinen selbst die Rekonstruktion, das Originalobjekt und die Wachsfi gur zu einem Ensemble verschmelzen, das auseinanderzudividieren der Betrachter gar keine Lust hat. Und dies nicht nur darum, weil dank einer pädagogischen Entscheidung, die zu kritisieren mir fernliegt, die Museumsgestalter wollen, daß der Besucher eine Atmosphäre erfaßt und sich in eine Vergangenheit einfühlt, ohne erst Philologe und Archäologe werden zu müssen, sondern auch darum, weil das rekonstruierte Ausgangsmaterial bereits selber die Ursünde der »Vergangenheitsnivellierung« und der Verschmelzung von Kopie und Original in sich trug. Exemplarisch in dieser Hinsicht ist das riesige Diorama, das den Salon der Villa von Mr. und Mrs. Harkness Flager aus dem Jahre 1906 vollständig reproduziert. Man beachte zunächst, daß ein Privathaus von vor knapp siebzig Jahren heute bereits ein musealer, archäologischer Gegenstand ist – was einiges aussagt über den gefräßigen Verbrauch von Gegenwart und den unaufhörlichen Ausstoß von »immer neuen« Vergangenheiten, den die amerikanische Zivilisation mit ihrem ständigen Wechselprozeß von utopischem Zukunftsentwurf und nostalgischen Schuldgefühlen vollbringt (in den großen Schallplattenläden fi nden sich in der Abteilung
    »Nostalgie«, neben der Sektion Vierziger und Fünfziger Jahre, bereits die Sektionen Sechziger Jahre und Siebziger Jahre).
    Wie war nun die Villa der Herrschaften Harkness Flager beschaffen? Laut Beischrift war der Salon eine »Adaption« des Tierkreis-Saales im Palazzo Ducale von Mantua. Die Decke war abkopiert von einem Gewölbe in venezianischer Kirchenbauweise, das sich heute im Museo dell’Accademia befi ndet. Die Wandgemälde sind im pompejanisch-präraffaelitischen Stil gehalten, und das Fresco über dem Kamin erinnert an Puvis de Chavannes. Diese ganze lebende Fälschung also, die der Salon von 1906 schon zu Lebzeiten war, wird nun penibel mit allen Details im Museum nachgefälscht, aber so, daß schwer zu sagen ist, was Originalteile des Salons sind und was neue Fälschungen mit der Funktion, das Ambiente zu komplettieren (und sogar wenn man es wüßte, würde es nichts am Gesamtbild ändern, denn die Imitationen der Imitation sind so perfekt, daß nur ein Einbrecher, der im Auftrag eines Antiquitätenhändlers herkäme, ernstlich in Sorge geriete über die Schwierigkeit, sie zu unterscheiden). Die Möbel sind wahrscheinlich die des echten Salons, in dem es durchaus echte Möbel gab, aus echten Antiquitätenläden, wie man vermuten darf. Aber bei der Decke wird es schon zweifelhaft, und wenn auch die Figuren der Dame, der Hausdienerin und des kleinen Mädchens, das sich mit einer Besucherin unterhält, natürlich aus Wachs sind, so sind doch die Kleider, die diese Figuren tragen, echt, das heißt von 1906.
    Worüber soll man sich also beklagen? Über den Eindruck von Todesstarre, der über der ganzen Szene liegt? Über die Illusion von Wahrheit und Echtheit, die sie im naiven Betrachter erzeugt?
    Über die »Verkrippung« der großbürgerlichen Welt? Über die Rezeption auf zwei Ebenen, die das Museum anbietet, einerseits kunsthistorische Erklärungen für jene, die sich auf das Entziffern der Wandtafeln einlassen wollen, andererseits Nivellierung von echt und falsch, antik und modern für die eher zerstreuten Besucher?
    Soll man sich über die kitschige Ehrfurcht beklagen, die den Besucher erfaßt, wenn er erschüttert ist von seiner Begegnung mit einem magischen Einst? Oder darüber, daß er, wenn er aus den Slums kommt oder auch aus den

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