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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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hinausschreit. Aber es gilt zu begreifen, aus welchem Fundus von populärer Sensibilität und handwerklicher Geschicklichkeit die Hyperrealisten ihre Inspiration beziehen und warum sie das Bedürfnis haben, diese Tendenz bis zum äußersten Punkt zu treiben. Es gibt demnach ein Amerika der außer Rand und Band geratenen Hyperrealität, das noch ein anderes sein muß als das der Pop Art oder der Mickey Mouse oder des Hollywoodkinos. Es gibt ein verborgeneres (beziehungsweise genauso öffentliches, aber von den Besuchern aus Europa und sogar von den amerikanischen Intellektuellen gewöhnlich verschmähtes), und in mancher Hinsicht bildet es gleichsam ein Netz von Verweisen und Einfl üssen, die sich am Ende auch auf die Produkte der anspruchsvollen Kultur und der Unterhaltungsindustrie er-strecken. Dieses Amerika gilt es zu fi nden.
    Machen wir uns also auf die Reise, ausgerüstet mit einem Faden der Ariadne, einem Sesam-öffne-dich, der uns erlaubt, das Ziel unserer Suche zu identifi zieren, welche Gestalt es auch annimmt.
    Wir können es in zwei typischen Redewendungen identifi zieren, die einen Großteil der Werbung durchdringen. Die erste, von Coca Cola verbreitet, aber auch als hyperbolische Formel in der Umgangssprache benutzt, ist »the real thing« (was übertragen das Höchste, das Beste, das Nonplusultra bedeutet, aber wörtlich soviel wie »das Echte«). Die zweite, die man überall hört und liest, ist »more«, ein Ausdruck, um »noch etwas« oder »weiter«
    zu sagen, aber in Form von »mehr davon«; man sagt nicht »das Programm geht in Kürze weiter«, sondern »more to come«, man sagt nicht »geben Sie mir noch etwas Kaffee«, sondern »more coffee«, man sagt nicht, daß eine bestimmte Zigarette länger ist, sondern daß sie »mehr« bietet, mehr als man üblicherweise bekommt, mehr als man verlangen kann, etwas zum Wegwerfen – das ist Wohlstand.
    Mithin ist der Grund dieser unserer Reise ins Reich der Hyperrealität die Suche nach Fällen, in denen die amerikanische Einbildungskraft das Wahre und Echte haben will und, um es zu bekommen, das absolut Falsche erzeugen muß; womit dann die Grenzen zwischen Spiel und Illusion verschwimmen, das Kunstmuseum wird von der Schaubude angesteckt, und man genießt die Lüge in einer Situation der »Fülle«, des Horror vacui.
    Erste Etappe ist das Museum der Stadt New York, das die Geschichte der Metropole erzählt, von Peter Stuyvesant und vom Erwerb der Insel Manhattan durch die Holländer, die den Indianern dafür ganze 24 Dollar bezahlten, bis in die Gegenwart.
    Das Museum ist mit Sorgfalt gemacht, mit historiographischer Präzision, mit Sinn für die zeitlichen Abstände (den die amerikanische Ostküste sich erlauben kann, während die Westküste ihn, wie wir sehen werden, noch nicht aufbringt) und mit be-merkenswerter pädagogischer Phantasie. Nun ist zweifellos einer der wirksamsten und am wenigsten langweiligen pädagogischen Apparate das Diorama: das plastische Schaubild, die kleine Bühne oder die Krippe. Und das Museum ist voller Krippen in Glasvitrinen, vor denen die Kinder, die es besuchen kommen (und Kinder kommen sehr viele), sich drängen und sagen: »Guck mal, da ist Wall Street«, so wie bei uns die Kinder sagen: »Guck mal, da ist Bethlehem, und das Eselchen und der Ochse.« Vor allem aber versucht das Diorama, sich als Substitut der Wirklichkeit darzustellen, wirklicher als das Original zu erscheinen. Und zwar mit Erfolg, denn wo es ein historisches Dokument verdeutlichen soll, eine Urkunde oder einen alten Stich, wirkt es zweifellos wahrheitsgetreuer als der Stich, und wo es keinen Stich gibt, hängt neben dem Diorama ein farbiges Foto des Dioramas, das wie ein altes Gemälde aussieht, nur daß natürlich das Diorama plastischer und lebendiger wirkt als das Foto. In manchen Fällen gäbe es schon auch ein richtiges altes Gemälde, so erfährt man zum Beispiel aus einer Legende, daß ein zeitgenössisches Bildnis von Peter Stuyvesant existiert. Ein europäisches Museum mit pädagogischen Ambitionen würde nun eine möglichst gute Kopie davon zeigen; das New Yorker Museum präsentiert uns statt dessen eine dreidimensionale, gut dreißig Zentimeter hohe Figur, die Peter Stuyvesant so wiedergibt, wie er auf dem Gemälde dargestellt war, nur daß er natürlich auf dem Gemälde bloß von vorn oder von der Seite zu sehen war, während er hier nun vollständig ist, komplett mit Hintern.
    Aber das Museum tut noch mehr (womit es gewiß nicht das

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