Über Gott und die Welt
Unmöglichkeit. Genau besehen sind diese »schönen«
Dinge alle Konsumgegenstände.
Daneben gibt es die anderen. Sie sind »häßlich«, denn es sind Kräne, Zementmischer, Drehbänke, Bagger, Planierraupen und hydraulische Pressen. Da sie häßlich und sperrig sind (in Wirklichkeit sind sie sehr schön, schöner als die anderen, aber das weiß der Besucher nicht), sind sie nicht begehrenswert, auch weil sie merkwürdig entfunktionalisiert erscheinen mit ihren Rädern, die sich im Leeren drehen, ihren Schaufeln und Greifarmen, die in der Luft herumfuchteln, ohne etwas zu bewegen. Sie sind unerschwinglich, doch der Besucher ist darob nicht bekümmert.
Er weiß, daß ihm eine Werkzeugmaschine nichts nützen würde, selbst wenn er sich eine kaufen könnte. Denn im Unterschied zu den anderen funktionieren diese Objekte nur, wenn sie kumulierbar sind: Tausend Aschenbecher sind unnütz, tausend Werkzeugmaschinen sind eine Fabrik.
Am Ende seines Rundgangs glaubt der gewöhnliche
Messebesucher, er habe gewählt: Er wünscht sich die schönen Dinge, die nicht kumulierbar, aber erschwinglich sind, und er verwirft die häßlichen und kumulierbaren, aber unerschwing-lichen. In Wirklichkeit hat er durchaus nicht gewählt: Er hat nur hingenommen und akzeptiert, daß er ein Konsument von Konsumgütern ist, da er kein Besitzer von Produktionsmitteln sein kann. Aber er ist zufrieden. Morgen wird er noch fl eißiger arbeiten, um sich eines Tages die schönen Sessel und Kühltruhen kaufen zu können. Er wird an der Drehbank arbeiten, die nicht seine ist, weil er (die Messe hat’s ihm gesagt) sie nicht will.
(1970)
Lady Barbara
Immer öfter kommt mir unwillkürlich irgendein Schlagerrefrain in den Sinn. Jeder kennt das, aber seit ein paar Jahren höre ich den Refrain begleitet von einem Brausen, einem massenhaften Gemurmel, einem Aufbranden von Applaus mit einer ganz besonderen Dynamik. Es ist nicht der Refrain als solcher, wie man ihn auf der Platte hören oder aus den Noten ersehen kann: Es ist ein Refrain, der gewaltsam hervorbricht, aufbrandet wie aus einem tellurischen Beben, ja geradezu ausbricht wie ein Vulkan.
Vorher war nichts, oder nur der lange wunschlose Schlaf tektonischer Trägheiten; dann auf einmal ein dumpfes Grollen, ein Aufbrausen in spiralförmiger Bewegung, ein rasch herannahendes Hornissengebrumm, das sich steigert bis zum Raketengetöse –
und dann das Schlagermotiv. Es ist mehr als nur ein Refrain, es ist ein erlösender Ausbruch, ein Orgasmus. Bzz, bzz, vrrr, vrrr – und plötzlich der große sonore Erguß: Lady Barbara, sei tu… (ich sage Lady Barbara, weil es das erste ist, was mir gerade einfällt; das Beispiel gilt für fast alle italienischen Festivalschlager, Sommer-LPs und so weiter).
Mit anderen Worten, der Stil unserer Hitparaden- und
Wettbewerbsschlager ist von einer Fernsehgewohnheit beeinfl ußt worden: Die Ankunft des Höhepunkts – der Pointe im Witz wie der Klimax im Lied – muß durch einen Applaus betont werden.
Doch dieser Applaus kommt nicht nach der Klimax oder Pointe (wie es früher üblich war), sondern vorher. Er muß ihr vorausgehen, sie ankündigen und begleiten. Der Applaus ist ein Bestandteil der Komposition, er fungiert nicht mehr als Bewertungs- oder Erfolgskriterium für das Spektakel, sondern als eines der Mittel, deren sich das Spektakel bedient, um eine mitreißende Wirkung zu erzielen und ein begeistertes Urteil hervorzurufen.
Der Applaus dient also nicht mehr als Beweis für ein zufriedenes Publikum, sondern als Befehl an das Publikum: »Ihr müßt zufrieden sein, ihr müßt begeistert sein! Paßt auf, was jetzt gleich geschieht!« Im Grunde ein alter Trick, den bereits Poe am populären Roman von Eugène Sue tadelte, als er sagte, es fehle ihm an der ars celandi artem, der Kunst des Verhüllens von Kunst, ja, er brilliere in der Technik, dem Leser anzukündigen: »Paß auf, gleich kommt etwas Wunderbares, das dir den Atem rauben wird!«
Wie erzielt man nun einen vorgreifenden Applaus? Es gibt zwei Methoden. Die billigste und primitivste ist: Man läßt einfach über der Bühne eine Schrift aufl euchten, die dem Publikum »Applaus«
befi ehlt. So macht man es im Fernsehen, allerdings nur bei Shows vor geladenem Publikum. Das Publikum wird höfl ich gebeten, mitzuarbeiten, um sich die Einladung zu verdienen. Doch das System, das sich als recht produktiv erwiesen hat, mußte nun auch mit feineren Mitteln auf andere Shows übertragen werden, auf
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