Über Gott und die Welt
geschrieben werde. Und so verfi el sie auf mich. Nie gab es eine bessere und überlegtere Wahl.
Nun muß ich jedoch betonen, daß ich keineswegs gegen die Fußball-Leidenschaft bin. Im Gegenteil, ich begrüße sie und halte sie für einen Segen. Jene verzückten Massen, die sich allwöchentlich brüllend im Stadion drängen, übereinander herfal-len oder vom Schlag getroffen zusammenbrechen, jene wackeren Schiedsrichter, die sich für einen Sonntag Berühmtheit wüsten Beschimpfungen aussetzen, jene von weither angereisten und zu Recht so genannten Schlachtenbummler, die blutend aus ihren Bussen quellen, verletzt von zerschlagenen Schaufensterscheiben und Schlägereien, jene grölenden Fans, die abends sieges- und biertrunken durch die Straßen karriolen, ihre Clubfahnen aus den Fenstern des überladenen Fiat 500 schwenkend, bis sie an einem Lastzug zerschellen, jene hochgezüchteten Recken, seelisch zerrüttet durch peinvolle sexuelle Abstinenzen, jene zerstörten Familien, wirtschaftlich ruiniert durch Kartenkäufe zu irrsinnig überzogenen Schwarzmarktpreisen, jene Enthusiasten, die sich mit ihren eigenen Knallfröschen blenden, sie alle erfüllen mein Herz mit Freude. Ich bin für die Fußball-Leidenschaft, wie ich für Autorennen bin, für Mopedrennen am Rande von Abgründen, für das fanatische Fallschirmspringen, den mystischen Alpinismus, die Überquerung der Ozeane auf Gummibooten, das russische Roulette und die Droge. Rennen meliorieren die Rassen, und all diese Spiele führen glücklicherweise zum Tod der Besten, so daß die Menschheit hernach in Ruhe weiter ihren Geschicken nachgehen kann mit normalen, durchschnittlich entwickelten Protagonisten. In gewissem Sinne würde ich jenen Futuristen zustimmen, die einst den Krieg als die einzige wahre Hygiene der Welt bezeichneten – lediglich mit einer kleinen Korrektur: Er wäre es, wenn er sich nur mit Freiwilligen führen ließe.
Unglücklicherweise zieht er jedoch auch die Widerstrebenden mit hinein, und deshalb ist er den Sportspektakeln moralisch unterlegen.
Wohlgemerkt, ich spreche von Sportspektakeln und nicht vom Sport. Der Sport, verstanden als eine Tätigkeit, in der einer ohne Gewinnstreben und durch unmittelbaren Einsatz des eigenen Körpers physische Exerzitien betreibt, die seine Muskeln üben, sein Blut zirkulieren und seine Lungen voll durchatmen lassen, der Sport, sage ich, ist eine sehr schöne Sache, zumindest so schön wie der Sex, die philosophische Refl exion und das Glücksspiel mit Erbsen als Einsatz.
Doch der als Spektakel organisierte Fußball hat nichts mit einem so verstandenen Sport zu tun. Nicht für die Spieler, die als Profi s einem Leistungsdruck unterliegen, der kaum geringer ist als der eines Fließbandarbeiters (abgesehen von ein paar kleinen Einkommensunterschieden), nicht für die Zuschauer – also die große Mehrheit –, die sich exakt so verhalten wie Horden geiler Voyeure, die regelmäßig zugucken gehen (nicht bloß einmal im Leben in Amsterdam, sondern jedes Wochenende, und anstatt zu), wie Paare sich paaren oder so tun als ob (oder wie jene ärmsten Kinder in meiner Jugend, denen man versprach, sie sonn-tagnachmittags mitzunehmen zum Zugucken, wie die Reichen Eis löffeln).
Nach diesen Prämissen wird man verstehen, wieso ich mich zur Zeit so entspannt fühle. Neurotisiert wie jeder von uns durch die schlimmen Ereignisse der vergangenen Monate, nach einem dramatischen Halbjahr, in dem man viele Zeitungen lesen und dauernd am Fernseher hocken mußte im Warten auf das neueste Kommuniqué der Roten Brigaden oder die Verheißung einer weiteren Eskalation des Terrors, kann ich in diesen Wochen, seit »König Fußball regiert«, getrost aufs Zeitunglesen und Fernsehgucken verzichten, es genügt ein rasches Überfl iegen der achten Seite nach Meldungen über den Prozeß in Turin, die Lockheed-Affäre und das Referendum, der Rest ist voll von jenen Dingen, über die ich nichts wissen will – und die Terroristen, die den Sinn für die Massenmedien hochentwickelt haben, wissen das ganz genau und versuchen gar nicht erst, irgendwas Interessantes zu unternehmen, es würde doch nur zwischen »Vermischtem«
und »Ratschlägen für die Küche« landen.
Man braucht sich auch nicht zu fragen, warum die WM in so krankhafter Weise das Interesse des Publikums und die Andacht der Massenmedien auf sich zieht: Von der bekannten Geschichte der Komödie des Terentius, der die Zuschauer wegliefen, weil es das Schauspiel mit den
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