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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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Wertethik verfasst hatte. Scheler spricht da von einem »den lebendigen Geist erstarrenden Objektivismus und Ontologismus«, von einem »allzu handgreiflichen Realontologismus und Wertwesensobjektivismus«, und fährt dann fort: »Überhaupt muss ich einen vom Wesen und möglichen Vollzug geistiger Akte ganz unabhängig bestehen sollenden Ideen- und Werthimmel – unabhängig nicht nur von Mensch und menschlichem Bewusstsein, sondern vom Wesen und Vollzug eines lebendigen Geistes überhaupt – prinzipiell schon von der Schwelle der Philosophie zurückweisen.« Diese ungewöhnlich scharfe Bemerkung ist um so wichtiger, als sie von dem größten Vertreter der Wertphilosophie stammt, dem radikalen Kritiker des Wertrelativismus.
    Aber gab es nicht einen Autor, nach dem Sie Ihr Denken schon früh ausrichteten: Thomas von Aquin, dessen Schriften äußerst systematisch aufgebaut sind?
    Von »systematisch« würde ich eher nicht sprechen. Die Idee von Philosophie als einem in sich schlüssigen deduktivenSystem beginnt mit Descartes. Sie hat ihren Höhepunkt im Deutschen Idealismus.
    Der spekulative Versuch von Maréchal und Gustav Siewerth, den Thomismus als System im Sinne des Idealismus zu rekonstruieren, haben mich zu Beginn meines Studiums gefesselt. Sie wurden von den Neuscholastikern ebenso ignoriert wie von Josef Pieper und blieben lange Jahre ein Geheimtipp. Es war gerade die systematische Struktur der Argumente von Thomas, die ich liebte. Diese Bewunderung für das Ideal änderte aber nichts an meiner skeptischen Natur. Ich weiß gar nicht, wann ich begonnen habe, in den Werken des Thomas von Aquin zu lesen. Aber es fing lange vor meinem Studium in Münster an.
    Und deutsche Philosophen, wann haben Sie sich mit ihnen beschäftigt?
    Kant und Hegel oder Schopenhauer und Nietzsche – mit deren Werken habe ich mich erst in meinem Studium ernsthaft beschäftigt, als ich die Theologie aufgegeben und Feuer für die Philosophie gefangen hatte.
    Kam Ihnen damals je der Gedanke, dass man die Philosophie auch gegen den christlichen Glauben kehren kann?
    Ja, aber eigentlich noch nicht während meines Studiums, sondern erst später ist mir der Gedanke gekommen, dass man gegen die Grundvoraussetzung der christlichen Existenz, nämlich das Dasein Gottes, durchaus ernsthaft argumentieren kann. Allerdings bedeutet das dann eine Art Abdankung des Denkens, so stellte sich mir das immer dar.
    Für mich war klar: Wenn wir Gott wegnehmen, wenn wir also so tun,
etsi deus non daretur
, als ob es Gott nicht gäbe – dann bricht das Denken zusammen. Auch Fragen des Niveaus spielen dann keine Rolle mehr. Mir schien sich nämlich derAtheismus intellektuell unter dem Niveau von Philosophien zu bewegen, die eine theologische Grundlage haben. Aber ich fragte mich damals: Das Denken kann ja abdanken, in einer radikalen Skepsis einfach untergehen. Das Argument gegen den christlichen Glauben schien mir als solches immer schwach. Aber der Verzicht auf Argumente, das schien ein schwerwiegender Standpunkt zu sein. Denn er hält ja die Rechtfertigung des Arguments für obsolet.
    Im Platon-Dialog »Gorgias« sagt der Antipode des Sokrates, Kallikles – dem die eigene argumentative Unterlegenheit im Gespräch zur unausweichlichen Tatsache geworden war –, sinngemäß: »Wozu rede ich überhaupt mit dir? Die Frage, wer hier argumentativ recht hat, muss uns doch gar nicht interessieren. Fahre ruhig mit deiner Philosophie allein fort.«
    Sokrates hält dem entgegen: »Gut, ich kann auch ohne dich, also alleine, das Gespräch fortsetzen, und zwar mit verschiedenen Rollen, auf die ich alle möglichen Einwände gegen mich verteile.«
    Ob die dann von Sokrates allein fortgesetzte Rede den Kallikles wirklich überzeugt hat, wird im Dialog nicht mehr erörtert.
    Kann man die Argumentation der Philosophie dadurch aufheben, dass man sich auf Erfahrung beruft, also betont, dass etwas Gegenstand oder eben nicht Gegenstand der Erfahrung ist?
    Also, ich denke, die Argumentation muss auf der Basis gewisser Erfahrungen geführt werden, die wir gemeinsam haben. Ohne Erfahrung gibt es überhaupt kein Denken. Das kann man bei Aristoteles lernen.
    Aber die Frage, welche Erfahrung die Bedingung für die Reflexion und die daraus entwickelten Argumente stiftet, wird meistens nicht thematisiert. Zum Beispiel bei Thomasvon Aquin spielt die Erfahrung des Glaubens, wenn man es so nennen will, für seine Argumentation gar keine Rolle. Darüber wird bei ihm nicht eigens
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