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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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reflektiert. Darum denke ich auch, dass die alte Philosophie, die mittelalterliche, keine christliche war und auch nicht sein wollte. Der christliche Glaube dieser Philosophen ging nicht als Prämisse in ihre Philosophie ein. Sie wandte sich an die bloße Vernunft. Anders verhält es sich beim Deutschen Idealismus. Er intendierte bewusst eine christliche Philosophie. Insbesondere der späte Schelling hat den Gedanken entwickelt, dass die christliche Offenbarung eine Erfahrung stiftet, welche die Philosophie nicht ignorieren darf, sondern selbst noch einmal denken muss. Ich glaube, schon in den Anfängen meines Studiums war mir klar, dass die Erfahrung die Basis des Argumentierens ist.
    In Platons Siebentem Brief kommt das sehr schön heraus. Da wird gesagt, zur Basis-Erfahrung, der Erfahrung des Guten, gelangt man weder durch Argumente noch auch ohne sie, vielmehr in langen vertrauten Unterredungen, im Austausch von Argumenten und Gegenargumenten zeigt sich plötzlich etwas ganz deutlich, das gar nicht unmittelbar Inhalt der Argumente war.
    Reicht die Entfaltung einer Argumentation allein nicht?
    Beides gehört zusammen: Erfahrung oder Intuition und Argument. Mit einem Menschen, dem die grundlegenden Intuitionen einfach fehlen, kann man schwer argumentieren. Und umgekehrt: Wer sich nur auf die Intuition stützen will, weigert sich, Rede und Antwort zu stehen.
    In meinem Tagebuch, das ich schon erwähnte, habe ich eine abfällige Bemerkung über Frauen niedergeschrieben: Frauen seien manchmal schrecklich, weil für sie Argumente keine Rolle spielten. Als 14-Jähriger beklagte ich, dass dadurchder Streit ewig weitergehe. Man könne zwar den Streit längst durch ein Argument beendet haben, aber das interessiere Frauen nicht, sondern sie wollen an ihren Sympathien und Antipathien festhalten.
    Da fällt mir ein, dass viel später meine Frau mir manchmal vorhielt: »Du leidest an einer ›déformation professionelle‹. Du glaubst nämlich an die Macht der Argumente, dabei wollen die meisten Menschen überhaupt kein Argument hören, und wenn das Argument wirklich anfängt, einleuchtend zu werden, dann fangen sie an, dich zu hassen, aber nicht etwa, dein Argument zu akzeptieren.«
    Ja, und meine Kinder bemerkten nicht selten: »Dem, was du sagst, Papa, können wir nicht widersprechen, weil du besser argumentieren kannst als wir. Aber recht hast du deswegen noch lange nicht.«
    Heißt das: Wer allein auf die Macht des Arguments vertraut, gerät in Schwierigkeiten?
    Gewiss, aber auch derjenige, der sich nur auf seine Erfahrung oder Intuition beruft, ist nicht fein raus. Immanuel Kant sagt zum Beispiel: »Wer in Sachen der Moral sich auf Erfahrung beruft, ist pöbelhaft.«
    Als Sie sich dem Studium der Philosophie zuwandten, haben Sie das mehr um des Wissens oder mehr um des Denkens willen getan?
    Um des Denkens willen. Um zu verstehen. Für mich bestand der Impuls immer darin: Ich weiß es ja schon, aber ich verstehe es nicht. Und beim Verstehen gibt es natürlich in gewisser Hinsicht kein Ende. Denn Sie können immer wieder noch grundsätzlicher, noch tiefer verstehen, dann öffnet sich ein neuer Horizont, und es stellen sich neue Fragen. Es ist wie in einer Endlos-Spirale.
    Von Friedrich Nietzsche stammt die Frage: »Die Wissenschaft als Mittel der Selbstbetäubung: Kennt ihr das?« Mit »ihr« meint er Menschen, die in die Wissenschaft, in eine sozial vermittelte, diskursive Beschäftigung fliehen, in der über Methoden und Forschungsziele längst ein Konsens besteht, und deshalb über das zu erlangende Wissen nicht immer weiter hinausgehende Fragen gestellt werden müssen. Ist Philosophie ein Antidot gegen diese Selbstbetäubung?
    Ja, sicher. In diesem Sinne ist Philosophie tatsächlich ein monologisches Unternehmen. Doch auch sie kommt ohne Ergebnis nicht aus. Was in handlungsrelevanten Zusammenhängen richtig oder falsch ist, darüber kann man lange Diskurse führen, aber plötzlich kommt man an den Punkt, wo man die Sache, um die es geht, entscheiden muss. Manches kann man auf sich beruhen lassen. Aber es gibt Dinge, von denen anderes abhängt. Und da muss man sich dann entscheiden, wann die Sache argumentativ geklärt ist. Darüber gehen dann wieder die Meinungen oft auseinander.
    Dieser Schritt zur Entscheidung aber ist, würde ich sagen, der eigentlich philosophische, der am Ende des Diskurses steht. Gewiss, der Diskurs bleibt notwendig. Das eigene Denken wäre unverantwortlich, wenn es sich nicht Argumenten anderer
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