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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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bedeutete für Sie Philosophie vor allem eine systematische Angelegenheit, eine Weise zu denken?
    Ja. Aber eigentlich keine neue Denkweise, sondern eine Verteidigung der
intentio recta
, der Unmittelbarkeit gegen ihre Aufhebung durch die Reflexion. Wenn ich auf mein Leben zurückschaue – ich habe immer eine gewisse Naivität besessen.
    Das zeigen meine Tagebücher aus den Jahren 1941/1942. Die deutsche Romantik, also Novalis, Eichendorff und Brentano, Runge und Caspar David Friedrich, wurde eine Zeit lang mein Lebenselement. Die Reflexion auf die Voraussetzungen und Kontexte meines eigenen Denkens setzte erst viel später ein. Die Entwicklung meines Denkens verlief überhaupt nicht deduktiv. Ich hatte keine grundsätzlichen Einsichten, Prinzipien, aus denen ich dann etwas ableitete, sondern es waren spontane Erfahrungen, die ich gedanklich zu klären versuchte. Ich bin in jungen Jahren, und noch lange danach, wie ein Nachtwandler durchs Leben gegangen. Ein momentanes Interesse erfasste mich, irgendetwas faszinierte mich, was zunächst nichts mit philosophischen Gedanken zu tun haben musste, so die Lektüre bestimmter Dichtungen.
    Erst im späten Rückblick habe ich gesehen, wie meine Gedanken – einem Puzzle gleich – zusammenpassten. Meine Entwicklung entsprach also mehr einer Leibniz’schen als einer cartesischen Denkhaltung, mehr einer Hegel’schen als einer kantischen, also einem allmählichen Sich-Klarwerden über etwas, das man in weniger klarer Weise schon vorher wusste.
    SEIN UND SCHEIN
    Wie bin ich zur Philosophie gekommen? Gewiss kann ich Lichter auf meinem Weg dahin nennen, meinen Gymnasiallehrer Dr. Anton Klein, Lektüren von Theodor Haecker und Josef Pieper, Platons »Phaidon« und »Gorgias« sowie die »Apologie des Sokrates«, die mein Vater und ich uns beim Mittagessen gegenseitig vorlasen.
    Dazu kam, dass vor allem ein leibhaftiger Philosoph,Hans-Eduard Hengstenberg, der mit meinem Vater befreundet war, bei uns verkehrte, ein Schüler Max Schelers, der für mich der Inbegriff eines von der Leidenschaft des Erkennens ergriffenen Mannes war und mit dem ich lange Gespräche geführt habe. Er wird übrigens bis heute in seinem Gewicht unterschätzt, weil er sich, obgleich auch ursprünglich Psychologe, jeder psychologischen, soziologischen oder historistischen Brechung der ontologischen
intentio recta
konsequent versagte.
    Insofern meinem Naturell ganz entgegengesetzt, war Hengstenberg jahrelang mein denkerisches Gewissen, und oft ein schlechtes. Übrigens ganz und gar Antipode meines Lehrers Joachim Ritter, mit seiner ständigen Frage: »Was bedeutet das?« Für Hengstenberg bedeutete ein philosophischer Satz genau das, was er sagt, und nichts sonst.
    Seine frühe Schrift »Einsamkeit und Tod«, die man damals der sogenannten christlichen Existenzphilosophie zuordnete, und seine damals unveröffentlichten Gedichte sind von einer literarischen Qualität und differenzierten Sensibilität, die Hengstenberg in seinen ontologischen, anthropologischen und ethischen Schriften einer rigorosen Objektivität opfert. Er wird gelegentlich mit Dietrich von Hildebrand verglichen, dem er allerdings an Tiefe und gedanklicher Kraft überlegen ist. Insbesondere ist für Hengstenberg Phänomenologie nur eine philosophische Propädeutik für genuin ontologische Fragestellungen und Einsichten.
    Omnis affirmatio est negatio
. Für jemanden wie mich, der bei jeder Äußerung zu fragen geneigt ist, gegen wen das gesagt ist – weil anders man sich ja das Reden hätte sparen können –, ist die Lektüre von Hengstenbergs kritischer Auseinandersetzung mit Teilhard de Chardin, aber auch mit Aristoteles anzuraten. Seine Aristoteleskritik zeigt, dass er die Schrift »Über Werden und Vergehen« nie wirklich gründlich gelesen hat.Hengstenberg verstand es nicht, und wollte es wohl auch nicht verstehen, sich in die gängigen philosophischen Diskurse einzufädeln. So blieb sein Einfluss begrenzt. Aber ich habe von ihm gelernt, was Philosophie heißt und was eigentlich ein Philosoph ist.
    Aber was in meinem Naturell ließ diese Einflüsse statt ganz anderer zu Einflüssen werden? Was waren die ursprünglichen Instinkte, die mich zu Platon trieben? Ich erinnere mich an ein erstes kindliches Missbehagen, das sich nur philosophisch beschreiben lässt, das Indianerspiel im Wald, von dem ich erzählt habe, das an dem Willen zur Authentizität der Simulation scheiterte.
    Eine andere Geschichte: Ich liebte die süddeutschen
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