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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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überfüllten Auditorium Maximum über katholische Dogmatik. Es waren Predigten, die auf den Kopf zielten und das Herz trafen. Volk zählte damals zu den wichtigen Persönlichkeiten in der Stadt, und man traf ihn auch öfter im Theater.
    Und es zog Sie auch zu den Vorlesungen des Philosophen Gerhard Krüger?
    Ich weiß nicht mehr genau, worüber er im Wintersemester 1945/1946 gelesen hat. Es ging irgendwie über Tradition und Moderne, also ungefähr dasselbe Thema, das Ritter dann bewegte.
    Das Thema »Moderne und Modernitätskritik« hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Für Theologiestudenten gab es damals einen eigens in der theologischen Fakultät angesiedelten Philosophie-Lehrstuhl. Aber die dort gebotene Neuscholastik langweilte mich.
    Gerhard Krüger, von dem ich bis dahin nichts gelesen oder gehört hatte – er kam aus der Gegend Heidegger und Bultmann –, faszinierte mich.
    Haben Sie damals schon sein Platon-Buch »Einsicht und Leidenschaft«, zuerst erschienen im Jahr 1939, gelesen?
    Das habe ich damals gelesen, ja. Krügers Interpretation von Platons »Symposion« öffnete mir eine neue Sicht. Wie sehr er von Heideggers Interpretationskunst geprägt war, wusste ich natürlich nicht. So erging es mir etwa auch bei der Lektüre von Krügers Platon-Deutung. Sie machte mich auf etwas aufmerksam, das mich bislang nicht beschäftigt hatte: dass die Vernunft vom Eros getragen wird, dass es sich bei beiden nicht um eine Entgegensetzung handelt, sondern dass Vernunft selbst schon eine Leidenschaft ist. Das Subjekt ist ebenbestimmt von einer fundamentalen Leidenschaft, die es selbst jedoch nicht geschaffen hat.
    Der Vers des Vergil, Ekloge 2, 65,
trahit sua quemque voluptas
– »Jeden reißt seine Leidenschaft fort« – gilt auch für die Leidenschaft der Vernunft. Allerdings, so habe ich es in Erinnerung, hatte Krüger etwas Blasses, so dass man vielleicht nicht hätte auf den Gedanken kommen können, man habe einen bedeutenden Denker vor sich.
    Außer der Begegnung mit der Philosophie – was hat Sie kurz nach Kriegsende sonst noch beschäftigt?
    Damals ging es mir wie den meisten meiner Generation. Man war wie ein trockener Schwamm. Ich sog eigentlich alles in mich auf, was mir irgendwie bedeutsam schien: neue Theaterstücke, Vorlesungen über Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch, die ersten Texte der Nachkriegsliteratur.
    Im Jahr 1947 kam ich in Berührung mit der Zeitschrift »Ende und Anfang«, die von jungen Leuten in München für eine junge Leserschaft gegründet worden war.

    ENDE UND ANFANG
    Im Herbst 1947 bekam ich ein kleines Schreiben des Ortsverbandes der Kommunistischen Partei in München, in dem ich als »Werter Genosse« angesprochen und eingeladen wurde, mich an dem im Dezember in Ostberlin tagenden Deutschen Volkskongress als Delegierter zu beteiligen.
    Dieser Volkskongress wurde für mich zu einem Schlüsselerlebnis, einem Wendepunkt in meinem Verhältnis zur Politik. Das Ganze fing an mit der Zeitschrift »Ende und Anfang«,die 1946 von einer kleinen Gruppe in Augsburg herausgegeben wurde; die meisten dieser jungen Leute waren katholisch und auf der Suche nach einer Ortsbestimmung innerhalb des Gestaltungsprozesses eines neuen Deutschland, dessen Konturen noch sehr unbestimmt waren.
    An ihrem Anfang war die Zeitschrift noch eher schöngeistig und unpolitisch. Ich sandte der Redaktion von Dorsten bzw. Münster aus damals erst eine Rezension eines neuen englischen Buches über Thomas Morus und dann einen längeren Aufsatz mit der Überschrift »Vertrauen – ein Wagnis«.
    Der Aufsatz war von der existenzialistischen Stimmung der Zeit geprägt und erörtert den Unterschied zwischen dem Vertrauen, das wir in ein Flugzeug setzen, mit dem wir fliegen, und dem Vertrauen in einen Menschen.
    Das Vertrauen in Menschen beruht nicht auf einem Wahrscheinlichkeitskalkül, sondern ist eine Form von Gewissheit. Dieser Gewissheit entspricht aber objektiv nur eine hohe Wahrscheinlichkeit. Sie kann trügerisch sein. Aber diese Möglichkeit in Erwägung zu ziehen wäre bereits die Zerstörung. Kein spieltheoretischer Kalkül kann hier weiterhelfen. Die Kluft zwischen dieser Wahrscheinlichkeit und dem Wagnis des Vertrauens ist der Gegenstand, der mich damals beschäftigte.
    Es kann wohl sein, dass auch John Henry Newmans »Grammar of Assent« im Hintergrund stand. Denn auch Newman geht es ja darum, den Sprung von der Wahrscheinlichkeit zur Gewissheit des Glaubens plausibel zu machen.
    Die Zeitschrift
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