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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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veröffentlichte beide Artikel. Sie waren auch nicht schlecht. »Gut gebrüllt, Löwe«, schrieb mein Vater auf eine Postkarte.
    Die Redaktion lud mich zu einer Tagung in der Abtei Neresheim ein, die der Erörterung der Zeitsituation und der Zukunft der Zeitschrift gewidmet sein sollte. Die wichtigsteFigur auf dieser kleinen Konferenz war Ludwig Döderlein, ein philosophischer Privatgelehrter aus der Döderlein-Familie, die mit den Größen des Deutschen Idealismus verbunden war. Döderlein verfügte auch über wichtige Nachlässe aus dieser Epoche.
    Soviel mir in Erinnerung geblieben ist, erklärte er uns während dieser zwei Tage das Wesen der Hegel’schen und der Marx’schen Dialektik. Döderlein verteidigte den Totalitarismus als unumgehbares Signum des Zeitalters, als Folge einer Entwicklung des Denkens, das es nicht mehr erlaubt, Einzelphänomene in den Blick zu nehmen, sondern die Interdependenz aller Phänomene und Ereignisse verstanden hat.
    Döderlein führte uns den bekannten Gedankengang des Marxismus vor, der alles »abstrakt« nennt, was im gewöhnlichen Sprachgebrauch das Konkrete heißt. Konkret ist nur der Gesellschaftsprozess als Ganzer, dieses Ganze zu denken aber heißt »totalitär« oder »dialektisch« denken.
    Den Marxismus präsentierte Döderlein als die Wahrheit des Zeitalters. Mich haben diese Gedankengänge damals tief beeindruckt, und den anderen Mitgliedern unserer Gruppe ging es wohl nicht anders.
    Die Zeitschrift begann sich mehr und mehr dem Marxismus zuzuwenden. Sie repräsentierte für eine Weile einen jugendlichen »Linkskatholizismus«, der radikaler sein wollte als die »Frankfurter Hefte«. Als ich dann für zwei Semester zum Studium nach München wechselte, nahm ich an den regelmäßigen Redaktionskonferenzen teil, die allmählich Züge des Konspirativen annahmen.
    Herausgeber war Franz J. Bautz, der später die Kulturabteilung des Bayerischen Rundfunks leitete; Ludwig Zimmerer, später Kulturattaché der Deutschen Botschaft in Warschau, war beteiligt wie auch Ernst Schumacher, ein großer Bewunderer von Bertolt Brecht, der in den fünfziger Jahrenin Leipzig bei Hans Mayer und Ernst Bloch promovierte und Anfang der sechziger Jahre in die DDR übersiedelte. Später wurde er Professor für Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität in Ostberlin. Er war der Einzige unter uns, der definitiv Kommunist wurde und sich zur DDR bekannte.
    Schließlich gehörte zu dem Kreis noch Theo Pirker, der wohl den größten Einfluss auf die geistige Entwicklung des Blattes nahm und mich persönlich von allen Teilnehmern in diesem ansonsten etwas jugendbewegten »linkskatholischen« Kreis am tiefsten beeindruckt hat. Er war einige Jahre älter als ich, Kriegsteilnehmer, wenn ich mich recht entsinne, für mich der Inbegriff eines authentischen Proletariers. Er verfasste eine kleine Sequenz von Gedichten, »Lieder zur Methode«, die im frühen Brecht’schen Stil geschrieben waren, und er brachte, wenn wir einen Geburtstag feierten, nicht Papier, sondern einen Kuchen mit.
    Pirker wurde die rechte Hand des legendären Gewerkschaftsführers Viktor Agartz und später Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin. Ich glaube, er war der einzige nicht promovierte Universitätsprofessor in Deutschland. Spezialist war er auf dem Gebiet der Soziologie der Büroarbeit. Aber seine große Publikationsliste zeigt viel weiter ausgreifende Interessen: kritische Betrachtung der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie ebenso wie eine scharfsinnige Kritik des kommunistischen Marxismus.
    Übrigens mochte er es nicht, wenn Nichtbayern Franz Josef Strauß kritisierten. Er sprach ihnen einfach die Kompetenz dazu ab.
    Unsere Treffen fanden meistens in der Wohnung von Linde Klier statt, einer aus Prag stammenden deutschen Germanistik-Studentin, die die Seele des Kreises war. Später war sie Leiterin des Goethe-Instituts in Athen, dann in Mexiko. Ich war ihr in besonderer Freundschaft verbunden, und siewar später unsere Trauzeugin. Sie starb in Mexiko im Jahr 2010.
    Theo Pirker lud ich später einmal ein, im Rahmen des Studium Generale an der Technischen Hochschule in Stuttgart zu sprechen. Er sprach dort über Kolonialismus. Er bezeichnete Russland in diesem Zusammenhang als letzte Kolonialmacht der Welt – eine in der damaligen Zeit ungewöhnliche Sicht der Sowjetunion.
    Und dann kam also der Volkskongress. Er war von der SED initiiert zum Zwecke der Unterstützung des sowjetischen Standpunkts
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