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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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auf der Londoner Außenministerkonferenz. In der Hoffnung, Gesamtdeutschland in die Hand zu bekommen, plädierte die Sowjetunion damals für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und gegen einen unabhängigen Weststaat. In dieser Zielsetzung konvergierte die kommunistische Politik mit unseren und besonders meinen Intentionen.
    Ich sollte als Delegierter teilnehmen. Wer hatte mich eigentlich delegiert? Die kommunistische Politik war es, bei Kongressen dieser Art nicht nur politische Parteien in Betracht zu ziehen, sondern auch sogenannte gesellschaftliche Gruppen. Was eine gesellschaftliche Gruppe war, bestimmten die Kommunisten. Und offensichtlich war der Kreis um unsere Zeitschrift auch eine solche gesellschaftliche Gruppe. Die Gruppe hatte zwar niemanden »delegiert«, nach Berlin zu fahren. Der Delegierer muss wohl der Weltgeist gewesen sein und dessen Sprecher die Kommunistische Partei Deutschland.
    In Berlin bekam ich ein Quartier zugewiesen bei einer altkommunistischen Arbeiterfamilie, deren Solidarität und Selbstlosigkeit rührend war. Der Kommunismus war für sie wirklich so etwas wie eine Religion.
    Was die Religion betrifft: Beim Umsteigen in Dresdenkamen wir auf einen Weihnachtsmarkt mit Weihnachtsbäumen, und ein Gewerkschaftler aus München sagte zu mir: »Schau mal, bei uns erzählen sie, hier würde die Religion verfolgt, und dabei werden hier Christbäume verkauft.«
    Zum Abendessen waren wir eingeladen im Kulturbund, wo wir eine ungewöhnliche Delikatesse zu essen bekamen: Bratkartoffeln in echter Butter gebraten. Da ich wusste, dass die Leute draußen nichts zu essen hatten, schmeckten mir die Bratkartoffeln allerdings nicht.
    Der Kongress lief nach Programm, der Vorsitzende war Wilhelm Pieck, einer der beiden SED-Führer. Es wurden einige Reden gehalten und dann eine Schlussresolution vorgelesen, die sich an die Außenminister in London wandte und die Einheit Deutschlands verlangte. Es gab aus dem Kreis von über 800 Delegierten zwei Änderungsanträge, die aber sofort von Pieck und seinen Kollegen der SED-Führung niedergebügelt wurden und gar nicht zur Diskussion oder Abstimmung kamen.
    In diesem Augenblick wusste ich, dass ich auf der falschen Hochzeit war. Bei der Abstimmung erhoben sich alle Arme der über 800 Delegierten. Auf die formale Zusatzfrage: Wer stimmt dagegen?, hob ich schüchtern und ein bisschen ängstlich meinen Arm, was mir einen Anraunzer von Pieck eintrug:
    »Der Genosse soll doch seinen Namen nennen, wenn er dagegenstimmt.«
    Und ein Gewerkschaftler neben mir fuhr mich an: »Wozu bist du überhaupt hergekommen, wenn du dagegen stimmst?«
    Ich konnte ihm nur antworten: »Ja, leider ist es tatsächlich so, wie ich befürchtet hatte.«
    Am nächsten Tag in den Zeitungen wurde die Gegenstimme natürlich nicht erwähnt. Die Resolution war einstimmig verabschiedet worden.
    Ich war allerdings aufgewacht. Und ich ließ meineFreunde nach München zurückfahren, um selber noch zwei Tage in der Sowjetischen Zone zu bleiben, in denen ich vor allem mit der Eisenbahn herumfuhr. Ich machte dabei einen kleinen harmlosen Test. Die SED-Leute hatten uns großzügig allen bereits ein SED-Parteiabzeichen offeriert. Wir waren ja gewissermaßen heimliche oder wenigstens potentielle Genossen.
    Dieses Parteiabzeichen steckte ich ans Revers, als ich ein Zugabteil betrat und mich hinsetzte. In dem Abteil hatte man sich vorher lebhaft unterhalten, aber in dem Augenblick, als ich eintrat, breitete sich eisiges Schweigen aus, und zwar so lange, bis ich das Abteil verließ. Ich ging dann in ein anderes Abteil, nachdem ich vorher das Parteiabzeichen in die Tasche gesteckt hatte. In dem Abteil ging es lebhaft zu, es wurde viel geredet und viel geschimpft. Die Leute verhielten sich, wie normale Leute sich verhalten. Ich nahm nun das Parteiabzeichen wieder in die Hand, ging auf die Toilette, warf es dort hinein und spülte ab.
    Nach Hause zurückgekehrt versuchte ich zunächst einen Artikel von mir »Die Kommunisten und wir« aus der Zeitung wieder herauszunehmen. Das war nicht möglich. Aber ich bestand darauf, dass dann mein Name verschwinden müsse. Der Artikel erschien ungezeichnet.
    Meine Freunde allerdings fielen über mich her. Pirker fragte, ob ich einen Onkel hätte, der Großgrundbesitzer sei, und alle warfen mir »Konkretismus« vor, also das, was Döderlein »abstraktes Denken« genannt hatte. Ich hätte offenbar den Blick auf das Ganze, auf die große Zielsetzung vergessen oder nie

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