Ueber Gott und die Welt
es nicht. Aber die Würde der Person ist seine Antizipation. Es gibt kein Ganzes, das gegen diese Würde recht haben könnte.
Im Sommersemester 1946 kam der Philosoph Joachim Ritter an die Universität Münster. War er der Grund, warum Sie sich für die Philosophie und nicht für die Theologie entschieden?
Es ist wohl richtig, dass ich durch Joachim Ritter veranlasst wurde, in die Philosophie einzusteigen, sie als ernsthaftes Studium zu betreiben. Von meiner Absicht, Theologie zu studieren, bin ich aber nicht wegen meiner Hinwendung zur Philosophie abgerückt, sondern ich fand damals, dass ich für das Amt des Priesters nicht geeignet wäre.
Von meinem katholischen Glauben habe ich mich jedoch deswegen nicht verabschiedet. Auch die Theologie interessierte mich weiterhin. Es war eine gewisse Zweigleisigkeit, der ich mich eine Zeit lang überlassen hatte. Das geschah mit gutem Gewissen, weil ich der Überzeugung war, dass der christliche Glaube, und zwar in seiner katholischen Version, wahr ist und dass deshalb alles, was man als vernünftig einzusehen gelernt hat, mit diesem Glauben vereinbar sein muss.
Das war ein schlichtes Postulat, das es mir ermöglichte, mich auf jedes denkerische Abenteuer einzulassen, unbelastet von der Sorge, dadurch den christlichen Glauben zu verlieren. Gedanklich habe ich die Dinge erst viel später zusammengebracht, aber das spielte damals keine Rolle. Ich hatte nie die Befürchtung, es könnte irgendetwas meine Orthodoxie beschädigen. Aber ich konnte Widersprüche, scheinbare Inkompatibilitäten, lange stehen lassen.
Sie sprechen ohne Zögern von Ihrer Orthodoxie.
Ich habe einmal viel später zu meinem Kollegen Dieter Henrich – der ursprünglich Pastor werden wollte – in einer Geburtstagstischrede gesagt: »Herr Henrich, uns beiden ist von unserer theologischen Zeit etwas geblieben: Bei mir ist es die Orthodoxie und bei Ihnen die Salbung.«
Als katholischen Philosophen bezeichne ich mich nie. Dafür habe ich Gründe.
Schauen Sie, jeder Philosoph, jeder denkende Mensch reflektiert doch Erfahrungen, die er im Leben macht und gemacht hat. Sie haben ihren Grund gar nicht in der Theorie, sondern sind von dem Eros bestimmt, der den Menschen bewegt.
Und im Denken reflektiert er diese Erfahrungen. Für den Christen gehört die Gottesbeziehung zu diesen Erfahrungen. Warum soll er sie ausklammern, wenn er Philosophie treibt?Kein Philosoph lässt doch die vorphilosophischen Erfahrungen weg, die er selbst macht und die Millionen von Menschen machen. Warum sollte ausgerechnet ein Katholik das tun? Das habe ich nie verstanden. Übrigens, wer sich dazu sehr deutlich – auch in der Theorie – geäußert hat, war Schelling. Für ihn ist die Philosophie eine höhere Art des Empirismus. Der Empirismus aber darf die spirituelle Dimension nicht künstlich eliminieren. Sie gehört zur menschlichen Erfahrung, die in der Philosophie reflektiert werden muss.
Wie muss man sich den damaligen Vorlesungsbetrieb vorstellen, als Sie bei Ritter studierten?
Joachim Ritters Vorlesungen wurden anfangs im Botanischen Garten abgehalten, in einem größeren Raum neben dem Gewächshaus, und zwar um 8 Uhr morgens. Das Seminar fand in seiner Wohnung statt.
Während der Vorlesung sprach Ritter scheinbar ohne Manuskript, obgleich er jedes Mal ein ausgearbeitetes mitbrachte. Ich habe noch vor Augen, wie er beim Vortragen ununterbrochen auf und ab ging. Man hatte den Eindruck, ihn bei der »allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden« zu beobachten.
Übrigens hat er sehr viel gearbeitet, vor allem morgens vor seiner Vorlesung. Im Sommer kam er schon um 5 Uhr morgens ins Institut. Angesichts seines Fleißes verwundert es, wie wenig er veröffentlicht hat.
»Was bedeutet das?« – das war eine der stets wiederkehrenden Fragen Ritters. Hieß das: »Ich verstehe den Autor nicht, kann jemand diese Textstelle, diesen Gedanken uns einmal zu erklären versuchen?«
Nein, sondern es hieß: Welche Bedeutung hat das, was hier steht, im Gesamtkontext der geschichtlichen Wirklichkeit?Das war seine hermeneutische Grundfrage. Dazu muss man eine gewisse Distanz zum Gegenstand gewinnen, was mir anfangs nicht leicht fiel.
Ich neigte zur
intentio recta
, was wohl auch etwas mit meiner katholischen Orthodoxie zu tun hatte. Ich dachte, jeder Satz bedeutet genau das, was er sagt. Daran festzuhalten und doch den Schritt zur
intentio obliqua
zu gehen verlangte einen Balanceakt. Dies ist eine der wichtigsten Fragen für mich
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