Ueber Gott und die Welt
geblieben: Wie kann man eine Sache als sie selbst betrachten und sie gleichzeitig in einem Kontext sehen, der nicht durch sie selbst definiert ist?
Joachim Ritter warf solche Fragen nur im Oberseminar auf, aus dem sich später das Collegium Philosophicum herausbildete. Ritter hielt auch regelmäßig Proseminare. In ihnen ging es ihm darum, genau zu lesen, was da steht.
Wichtig für uns waren die Abende mit ihm im Wirtshaus, beim Bier, nach den Sitzungen des Oberseminars, als auch über Tagesaktualitäten gesprochen wurde, natürlich mehr im Lichte einer philosophischen Hermeneutik.
Partei zu ergreifen war für ihn nicht Sache der Philosophie. Philosophie muss verstehen, was ist, nicht politisieren. Ritter kultivierte eine betonte Bürgerlichkeit, ohne dabei naiv zu sein. Er war ein moderner Intellektueller, der dem modernen Intellektuellen misstraute.
Es gab einen Kreis von Schülern Joachim Ritters, der später als Münsteraner »Collegium Philosophicum« von sich reden machte, weil nicht wenige daraus später das akademische Fach Philosophie in der Bundesrepublik prägten. Wie fanden Sie zu diesem Kreis?
Es begann damit, dass sich nach Joachim Ritters Hauptvorlesung einige Studenten im Café Schucan trafen, um für ungefähr zwei Stunden über die Vorlesung zu diskutieren. Dazugehörten Odo Marquard, Hermann Lübbe, Günter Rohrmoser, Ludger Oeing-Hanhoff und Hans Schrimpf.
Später traf man sich im Oberseminar wieder, und als der Kreis sich dort ausweitete, weil immer mehr Studenten mit Philosophie im Nebenfach oder einfach Nicht-Philosophen dazu stießen, nannte man die Veranstaltung »Collegium Philosophicum«.
Es kamen Studierende ganz verschiedener Prägungen zusammen: Thomisten, Marxisten, Skeptiker und evangelische Theologen, Literaturhistoriker wie Juristen, darunter Ernst-Wolfgang Böckenförde oder Martin Kriele, die später als Rechtswissenschaftler wie als Verfassungsrichter große Bedeutung erlangen sollten.
Ich selbst genoss im Collegium Philosophicum Ritters immer eine Art Narrenfreiheit, Fragen zu stellen, die sonst in diesem Kreis nicht gefragt wurden. Narrenfreiheit für Naivität.
Fragen dieser Art warf Joachim Ritter nur sehr gelegentlich auf, und dann eher abends nach dem Seminar im Wirtshaus, wo dann auch über Tagesaktualitäten gesprochen wurde. Auch sie gehören zur »Vernünftigkeit des Wirklichen«, die Ritter emphatisch bejahte. Darin war er ganz Hegelianer.
Ritter trat im Kreis des Collegium Philosophicum nicht als Besserwisser auf, sondern war immer darauf aus, auf neue Gesichtspunkte hingewiesen zu werden, neue Zusammenhänge zu entdecken. Auf sehr zurückhaltende Weise dirigierte er eine Gesprächsgemeinschaft.
… Und keine Schule …
Nein, weil es keine Theorie des Lehrers gab, die als Basis oder als Voraussetzung gegolten hätte. Man musste sich auch keine bestimmten Inhalte oder Methoden zu Eigen machen.
Die Teilnehmer kamen, wie gesagt, aus verschiedenen philosophischen Richtungen und Fächern, hatten schon akademische Abschlüsse und theoretische Erfahrung. Es konnte über alles geredet werden, was damals im philosophischen Interesse lag, selbst über innerscholastische Fragen der mittelalterlichen Philosophie. Es musste nur eben etwas in diesen Kontroversen zwischen Thomisten und Scotisten noch Ungesagtes vorgebracht werden. Wenn es jemandem gelang, einen Hintergrund zu entdecken, der die Voraussetzungen und Konsequenzen der Kontroverse neu beleuchtete, dann war das in diesem Kreis diskussionsfähig.
Diese Offenheit kannte nur eine Einschränkung: Man durfte nichts Freundliches über Fichte denken und sagen. Dessen Versuch einer radikalen Rekonstruktion der Wirklichkeit lehnte Ritter leidenschaftlich ab. Als einmal der junge Hermann Lübbe, der gern aufmüpfig war, die Tabu-Frage zu stellen wagte, warum Hegel neben Fichte auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin begraben sein wollte, fiel er eine Zeit lang bei Ritter in Ungnade, was ihn nicht hinderte, später ein exemplarischer »Ritterianer« zu werden.
Was zog die damals jungen Leute zu Ritter?
Es war wohl die charakteristische Weise, in der Ritter seine Fragen stellte. Bei philosophischen Positionen fragte er nicht: Ist das wahr oder falsch, sondern: Was bedeutet das? Damit war man aufgefordert, die Relevanz eines Gedankens im Kontext der Geschichte und Entwicklung des menschlichen Geistes zu erörtern.
In Immanuel Kants »Kritik der reinen Vernunft« trägt der dritte Abschnitt im zweiten
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