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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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Jesu vom Verlorenen Sohn in bezeichnender Weise abgeändert, und zwar so: Der heimkehrende Sohn entdeckt, dass er in Wirklichkeit das Vaterhaus gar nie verlassen hatte. Mir hat das nicht eingeleuchtet. Das Elend der Elenden und die Niedertracht der Niederträchtigen finden nicht nur in der Einbildung statt, und Erlösung bedeutet – außer für Buddhisten – nicht nur Heilung von einer Einbildung.
    Odo Marquard hielt einerseits fest an der Utopie von der »Majestät des Tages, der die Erde bescheint, ohne sie zu verbrennen«, wie es in der »Dialektik der Aufklärung« heißt. Aber in dem Maß, wie die Utopie sich in Europa politisierte, hörte die Revolution für ihn auf, die Verwirklichung dieser Utopie zu sein. Ihr Ort wird die Kunst. »Wenn die Vernunft auf der Strecke bleibt, schmückt sie diese Strecke«, war eines der Dicta von Odo Marquard. Später hätte er wohl auch den Verzicht auf die Revolution nicht mehr als »Auf der Strecke-Bleiben der Vernunft« bezeichnet, sondern als »Zur-Vernunft-Kommen«.
    Zur-Vernunft-Kommen heißt: bürgerlich werden. Mankann das als Resignation beschreiben. Hier kommt allerdings die Religion ins Spiel. Wenn Augustinus den philosophischen Ideen der Glückseligkeit entsagt, dann nicht im Sinne skeptischer Resignation, sondern der uneingeschränkten Erfüllung unserer höchsten Vorstellungen von
Eudaimonia
, nämlich in der Weise der christlichen Hoffnung, deren Erfüllung jenseits der Todesgrenze erwartet wird. »Was schreibst du einem guten Freund, der seinen liebsten Menschen verloren hat?«, so habe ich einmal Odo Marquard gefragt, und er antwortete: »Den Brief schreibt meine Frau.« Es ist wahrscheinlich die schönste Antwort, die jemand geben kann, der darauf beharrt, Skeptiker zu sein.
    Das Thema »Herkunft und Zukunft« trat nach Ritters Türkeiaufenthalt in den Vordergrund. Vorher war Ritter vor allen Dingen Kritiker der Moderne. Jetzt wurde für ihn »Entzweiung« ein Schlüsselbegriff zu ihrem affirmativen Verständnis. Marquard als ihr Apologet fand nun einen privilegierten Platz.
    Bei mir dagegen hielt sich das Aufklärungskritische, das heißt der Gedanke der Aufklärung, die sich auch über sich selbst »aufklären« muss, wenn sie sich nicht selbst abschaffen will. Aufklärung der Aufklärung über sich selbst, das heißt, sie in Kategorien begreifen, die fundamentaler sind als ihre eigenen.
    Wie war Ihre Beziehung zu Hermann Lübbe, einer anderen philosophischen Begabung im Collegium Philosophicum?
    Seit unserer Studentenzeit in Münster hatte ich mit ihm immer engen Kontakt. Gern erinnere ich mich eines gemeinsamen Ausflugs durch seine ostfriesische Heimat. Aber in seiner philosophischen Entwicklung hat jeder von uns beiden seinen eigenen Weg eingeschlagen.
    Was man heute kaum vermutet: Lübbe hat mit der spekulativen deutschen Philosophietradition, besonders mit Fichte, begonnen, wendete sich danach vor allen Dingen Arthur Schopenhauer zu, mit dessen misogynen Aphorismen er Grete Grothues, seine spätere Frau, gern zur Entrüstung brachte. Erst später wurde er zu einem Sozial- und Kulturphilosophen und in den 68er Jahren zu einer der wichtigsten Gestalten des Widerstands, dem wir das Wort für eine Tugend verdanken, die er selbst in hohem Maße besitzt: »Verblüffungsresistenz«.
    Seine Tochter, Weyma Lübbe, hat bei mir eine Magisterarbeit geschrieben über meine Kritik an Hermann Lübbes funktionalistische Theorie der Religion. Darin ergreift sie Partei für ihren Vater. Heute ist sie Lehrstuhlinhaberin für Praktische Philosophie in Regensburg und seit 2008 Mitglied im Deutschen Ethikrat.
    Welche Bedeutung hatte für Sie damals Immanuel Kant?
    An Kant führt kein Weg vorbei. Die beiden ersten Kritiken waren Pflichtlektüre für einen Philosophiestudenten. Später erst las ich das Buch, das für mich bei Weitem das interessanteste werden sollte: »Die Kritik der Urteilskraft«. Hier wird das Teleologieproblem wirklich tiefgründig durchgearbeitet.
    Der Neukantianismus, dem erst Kant als eigentlicher Anfang der Philosophie galt, war zu »unserer Zeit« nur noch Historie: Heinz Heimsoeth, Gerhard Krüger und Martin Heidegger lasen Kant nicht mehr mit einer neukantianischen Brille.
    Und auch für Ritter war die »rationale Metaphysik«, die Kant destruiert hatte, nur noch der Wolff ’sche Rationalismus. Aus dessen Überwindung ging eigentlich die Wiederherstellung der aristotelischen, bis zu Leibniz reichenden Metaphysiktradition hervor, einer Tradition,

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