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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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herbeiführen würden. Das gegenseitige Sich-Anwärmen im Gefühl der gleichen guten Gesinnung schien mir angesichts der realen Situation unverantwortlich zu sein.
    Böll antwortete mir damals in einem sehr freundlichen Brief, in dem er zunächst mich von seinem moralischen Verdikt ausnahm. Der Logik der Überlegungen Sacharows und meiner Logik wusste er freilich nichts anderes entgegenzusetzen als: »Lieber Spaemann, ich glaube nicht mehr an die Logik.«
    Auf den von mir selbst in den fünfziger Jahren erhobenen Einwand, die Abschreckung setze doch die Bereitschaft von Soldaten zur tatsächlichen Anwendung voraus, kann ich,wenn ich ehrlich sein soll, auch heute nicht antworten. Ich muss mit meinem alten Trostwort leben: »Le pire n’est pas toujours sûr.«

KAPITEL 4
RÜCKKEHR AN DIE UNIVERSITÄT MÜNSTER
    Fénelon, der Freund der Mystik
    Wie haben Sie sich auf die für Sie neue berufliche Situation an der Universität Münster eingestellt?
    Ich stand vor einer besonderen Herausforderung. In meinem Leben hatte ich noch nie auch nur ein Semester Pädagogik studiert. Und jetzt sollte ich im Handumdrehen Proseminare in diesem Fach bestreiten. Die Proseminare waren überfüllt. Mit bis zu 100 Teilnehmern musste man rechnen. Unter diesen Bedingungen konnte man eigentlich nur Vorlesungen halten. Für Diskussionen blieb wenig Zeit.
    In diesem Zusammenhang habe ich mich auch mit Rousseau befasst. Schon bei meiner Arbeit über de Bonald stieß ich auf Rousseau, ebenso bei der Lektüre von Leo Strauss. Aber als ich dann Seminare über den »Émile« abhalten musste, hatte ich mich noch viel gründlicher in das Studium der Rousseau’schen Schriften zu vertiefen. Daraus gingen später meine Rousseau-Aufsätze hervor, die ich unter dem Titel »Rousseau – Bürger ohne Vaterland« veröffentlicht habe (2008 wieder erschienen als »Rousseau – Mensch oder Bürger. Das Dilemma der Moderne«).
    Natürlich musste ich mich auch mit der deutschen pädagogischen Tradition beschäftigen, die immer eng mit der Philosophie verbunden war. Theodor Litt und Eduard Spranger zum Beispiel waren sowohl Pädagogen als auch Philosophen.
    Die enge Verbindung von Philosophie und Pädagogik wurde erst in den siebziger Jahren aufgelöst. Die Pädagogik verwandelte sich in eine empirische Wissenschaft mit quantifizierenden Methoden. Die Geschichte der deutschen Bildungsidee war seit diesem Einschnitt eine Zeit lang nur noch von historischem Interesse.
    Wie war Ihr Verhältnis zu Ihrem Professor?
    Ernst Lichtenstein zählte zu den traditionellen deutschen Bildungstheoretikern. Als Halbjude war es ihm gelungen, den Nationalsozialismus an der deutschen Schule in Athen zu überstehen. Er hat wenig hinterlassen, außer einer recht interessanten kleinen Geschichte des Bildungsbegriffs. Im Historisch-Philosophischen Wörterbuch hat er den Artikel über »Bildung« verfasst.
    Er war liberal im Umgang. Ich hatte in den sechs Jahre bei ihm den Eindruck, dass er mich »machen ließ«, also mich bei meiner Arbeit nicht einschränkte und nichts dagegen hatte, dass ich dem Ritter-Kreis mehr als irgendeinem anderen zugehörte.
    Was beschäftigte Sie damals in den philosophischen Debatten?
    Sehr vieles. Und doch zunächst im Wesentlichen an Ritters Vorgaben Orientiertes. Es gab damals ein witziges Gedicht von Carl Schmitt – anonym erschienen – »Die Substanz und das Subjekt«. Das könnte auch als Titel für diese Debatten herhalten. Es ging um Entzweiung, Substantialität und Emanzipation, schließlich auch um »Herkunft und Zukunft«, was später für Odo Marquard der rote Faden seines skeptischen Traditionalismus wurde. Dabei spielten in wachsendem Maß die »Frankfurter«, also Horkheimer und Adorno, eine Rolle im Hintergrund.
    Odo Marquard dichtete später anlässlich eines Jubiläums des Collegium Philosophicum eine Ballade vom richtigen Leben, die ich damals nach der Melodie des Haifisch-Songs aus der Dreigroschenoper vortrug und in der Ritters Philosophie parodiert wurde, beispielsweise mit dem Vers: »Und dem Menschen fehlt fast gar nichts, nur die Einsicht, dass nichts fehlt.«
    Das war Marquards Version von Ritters Version des Hegel’schen Satzes von der Vernünftigkeit des Wirklichen, der wiederum eine Version der christlichen Lehre war, dass wir niemals aus der Hand Gottes fallen. Aber diese Version trifft, so fand ich, nicht ganz den Kern jener Lehre.
    Ritter hat denn auch am Ende einer Semestervorlesung über Existenzphilosophie das Gleichnis

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