Ueber Gott und die Welt
glaube ich, nicht als lineare Vorwärtsbewegung verstehen.
Es gibt drei Ursprünge der Philosophie, drei Weisen von
prima philosophia
: Sein – Bewusstsein – Sprache. Auf der Höhe befindet sich eine Philosophie erst, wenn sie diese drei Weisen des »Umgreifenden« denkt.
Kurz, man kann hinter Kant zurückgehen. Sie haben es jedenfalls getan, als Sie sich als Thema Ihrer Habilitationsschrift die Kontroverse zwischen den beiden französischen Bischöfen François de Salignac de la Mothe-Fénelon, kurz Fénelon genannt, und Jacques Bénigne Bossuet gegen Ende des 17. Jahrhunderts auswählten. Wie kamen Sie dazu?
Wann mir die symptomatische Bedeutung dieser Kontroverse deutlich wurde, weiß ich nicht mehr genau. Der Name Fénelon begegnete mir schon bei de Bonald. Und schon bei de Bonald taucht er auf im Zusammenhang mit dem Problem des teleologischen Naturbegriffs.
Bonald versucht der Zweideutigkeit des neuzeitlichen Naturbegriffs zu entgehen, indem er den »homme natif« vom »homme naturel »unterscheidet: Der Irokese ist ein »homme natif«, Leibniz, Fénelon und Bossuet sind »hommes naturels«.
Der amour-pur-Streit zwischen den beiden Bischöfen erschien mir als ein Dilemma, das unvermeidlich wird, wenn der teleologische Gedanke verlorengegangen ist, dass es allem Lebendigen um etwas geht, dass alles Lebendige auf etwas aus ist, auf etwas anderes aus ist als auf seine bloße Erhaltung. Es ging um die Frage, ob der Mensch Gott als Garanten seiner Erhaltung lieben soll oder um seiner selbst willen.
Es war der letzte theologische Streit, der nicht nur eine Haupt- und Staatsaffäre in Frankreich war, sondern das ganze gebildete Europa beschäftigte und auch Leibniz zu einem Lösungsvorschlag veranlasste. Was mich interessierte, war: Warum berufen sich beide Kontrahenten unter anderem auf Thomas von Aquin, und warum verstehen ihn beide nicht?
Meine Antwort war: Weil sie beide Cartesianer sind und von einem nicht-teleologischen Naturbegriff ausgehen, einem Naturbegriff, für den alles Lebendige nur um seine Selbsterhaltung kreist, auch der Mensch. Gottesliebe kann dann nur verstanden werden entweder im Rahmen dieser Natur – als Diener meines Interesses – oder als »Sterben der Natur«. Die Bücher über de Bonald und Fénelon waren für mich wichtige Schritte auf dem Weg der Entdeckung des Teleologieproblems. Ich habe ihm zweimal eine Vorlesung gewidmet und schließlich das Buch »Die Frage Wozu?«, vor wenigen Jahren erneut erschienen unter dem Titel »Natürliche Ziele«.
Was war überhaupt der Anlass für die Kontroverse?
In Frankreich unter Ludwig XIV. war eine neue mystische Bewegung aufgekommen. Eine gewisse Mode gefiel sich in extremen mystischen Redewendungen. Es gab Ratgeber mit dem Titel »Moyen court« oder »Pratique facile«, die den Menschen kurze, einfache Wege zur Erlangung der höchsten Stufen mystischer Erfahrung versprachen. Man nannte die Bewegung abschätzig »Quietismus«.
Im Mittelpunkt stand eine Dame, Madame Guyon. Sie sollte auch eine Rolle im deutschen Pietismus spielen. Sie wurde wegen ihrer mystischen Reden und Schriften in adeligen Kreisen und selbst am Hofe Ludwigs XIV. – dessen Mätresse Madame de Maintenon gehörte eine Zeit lang zu ihren Bewunderinnen – geschätzt, aber auch mit Argwohn betrachtet. Als man Madame Guyon schließlich für zu gefährlich hielt, wurde sie eingesperrt, mundtot gemacht.
Vor allem der Bischof von Meaux, Bossuet, Hofbischof des Königs, Erzieher des Dauphin, ein großer Schriftsteller und Redner, griff Madame Guyon in aller Schärfe an. Als überzeugter Verteidiger der Mystikerin trat Fénelon, der nachmalige Erzbischof von Cambrai, auf.
Die Auseinandersetzung um Madame Guyon vertiefte sich schnell in eine grundsätzlich theologische und philosophische Kontroverse. Was eigentlich ist Gottesliebe? Ist sie eine Liebe Gottes um Gottes willen? Verliert der Mensch dabei ganz sein Eigeninteresse aus dem Auge? Und bleibt nur noch das übrig, was Karl Jaspers einmal so formulierte: »Dass Gott ist, ist genug«?
Oder hat zu gelten, was Bossuet energisch vertrat: Das Glücksverlangen des Menschen ist der Kern jeder Gottesliebe? Dabei berief er sich auf einen bekannten Gedanken des heiligen Augustinus: Jeder Mensch will glücklich werden. Und wenn er erkennt, dass Gott die einzige Quelle desGlücks ist, dann wird er Gott lieben, weil Gott die letzte Befriedigung des Menschen ist und alle Sehnsucht des Menschen unerfüllt bleibt, wenn sie nicht in
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